Michael Schneider, Leben – Werk – Rezeption

Gedanken von Michael Schneider zu seinem Buch

Als ich im November 1990 auf dem Rückweg von einem Interview mit dem Komponisten Robert Blum einer inneren Stimme folgte und unvorhergesehen im “Sonnenberg” kurz Station machte, ahnte ich nicht, dass dies meine letzte Begegnung mit Peter Mieg sein sollte. Ich erschrak über sein gezeichnetes, aschfahles Gesicht und war beunruhigt, als er in den darauffolgenden Wochen nicht mehr ans Telefon kommen und über künstlerische Neuigkeiten plaudern mochte. An einem stillen Sonntagmorgen dann, Anfang Dezember, nur wenige Tage vor seinem Tod, telefonierte mir Peter Mieg wie aus heiterem Himmel. Es kostete ihn offensichtlich Überwindung, dieses – wie mir schien – endlose Gespräch zu beenden. Immer wieder schwenkte er auf immer neue Gesprächsthemen über. Es war ein Abschiednehmen, das zwischen uns unausgesprochen blieb, Peter Mieg aber insgeheim bewusst gewesen sein muss.

 

Zehn Jahre vorher hatte ich Peter Mieg einen ersten Brief zu seiner Musik geschrieben. Seine Antwort traf ein, kaum waren meine Zeilen im Briefkasten verschwunden – und so nahm ich, überrascht von dieser Spontaneität und Herzlichkeit, wenig später erstmals den steilen Anstieg zu seinem verwunschenen kleinen Universum an der Schlossgasse unter die Füsse. Eingetaucht in den geheimnisvollen Charme des “Sonnenbergs” sass ich im grünen Zimmer dem berühmten Peter Mieg gegenüber, bevor er mir am alten Küchentisch in entwaffnender Ungezwungenheit das obligate Konfi-Brot zum Zvieri offerierte.

 

Zwischen Bekanntwerden und Abschiednehmen lagen Jahre, in denen ich Peter Mieg bei Konzerten und an Vernissagen sah, in denen sich seine Korrespondenz bei mir stapelte und ich ihm immer wieder über die Schultern blicken durfte, während er mir auf seinem Pleyel aus neuen Skizzen vorspielte. Was sich Peter Mieg einst für ein neues Stück wünschte – “es müsste in erster Linie verzaubern!” – ist in meiner Erinnerung mit einem Malausflug an den elsässischen Rhein-Rhône-Kanal verknüpft. Während Peter Mieg, mit Mantel und Wolldecke der Oktoberkälte trotzend, Aquarellfarben aufs Papier brachte, brachen schimmernde Sonnenstrahlen durch die morgendlichen Dunstschleier. Und so sass Peter Mieg inmitten einer verzauberten Kulisse, in der sich die nebeldampfende graue Watteschicht auf Wasseroberfläche, Bäumen und Sträuchern langsam mit Licht vollsog.

 

Viereinhalb Jahre sind vergangen, seit Peter Mieg gestorben ist, und fast zwanzig Jahre ist es her, seit die letzte grössere Publikation über ihn erschienen ist. Es war eine Monographie zum 70. Geburtstag 1976, die das Wichtigste über Leben und (musikalisches wie das malerisches) Schaffen zusammentrug. Peter Mieg wünschte sich stets, dass ein neues Buch noch ausführlicher auf das einging, was ihm selbst am wichtigsten war: seine Musik. So trägt das nun neu erhältliche Buch den Titel “Der Komponist Peter Mieg. Leben – Werk – Rezeption” und widmet sich ausschliesslich dem musikalischen Werk. Das Buch sollte so umfassend wie möglich sein, dem bereits Bekannten unbekannte Mosaiksteine hinzufügen und auch kritische Stimmen nicht ausblenden. Nicht zuletzt sollten auch die 20er, 30er und 40er Jahren, die in der Beschäftigung mit Peter Mieg bisher stets eine untergeordnete Rolle spielten, gleichwertig neben die Zeit nach der Jahrhundertmitte gestellt werden. Das Buch fängt mit einer detaillierten biographischen Skizze an und stellt anschliessend Fragen zur Musik: Welche künstlerischen Vorstellungen haben Peter Mieg beim Komponieren geleitet? Wie verlief der kompositorische Prozess? Welche Gestalt und Ausprägung hat das Oeuvre von den 20er bis zu den 80er Jahren erfahren, und welche Merkmale haben es ausgezeichnet? Mit welchen musikalischen Elementen hat Peter Mieg gearbeitet? Und besonders zentral: Auf welches Echo ist Peter Mieg als Komponist seit den 30er Jahren gestossen?

 

Stellvertretend für andere Kompositionen bilden sieben Werke den roten Faden, anhand dessen Miegs Entwicklung dargestellt wird: die Sonate für Violine und Klavier  (1936), das Konzert für zwei Klaviere und Orchester  (1939-42), das Concerto da Camera  für Klavier, Pauken und Streicher (1952), das Oboenkonzert  (1957), der Zyklus für Tenor und Orchester Mit Nacht und Nacht  (1962), das Morceau élégant  für Querflöte und Harfe (1969) sowie das Concerto pour deux flûtes et orchestre à cordes  (1973/74). Von diesen Stücken ausgehend werden auch sämtliche übrigen Kompositionen kurz gestreift; weitere Gedanken gelten dem Spätwerk der 80er Jahre und stilistischen Eigenheiten, die Peter Mieg selber als die “Hintergründigkeit” seiner Musik bezeichnete.

 

Bisher noch nie unternommen und für ein breiteres Publikum vielleicht von besonderem Interesse ist die Frage, wie Peter Mieg und sein Werk als Komponist seit 1935 von der Öffentlichkeit und den Medien aufgenommen wurde. So werden Reaktionen auf Miegs Musik und Einschätzungen des Komponisten von 1935 bis zu seinem Tod 1990 beleuchtet, einander gegenübergestellt und von einer Aufführungsstatistik abgerundet. Ein vollständiges Werk- und Literaturverzeichnis ergänzen das Buch. Und auch optisch kommt Peter Mieg zur Geltung: indirekt durch viele Notenbeispiele, direkt durch zahlreiche Fotografien, die ihn als Kind, als Jugendlichen, im Zenit seines Schaffens und in den späten Jahren zeigen, im “Sonnenberg” und im Ausland, allein oder gemeinsam mit anderen Künstlerinnen und Künstlern.

 

Das Buch “Der Komponist Peter Mieg. Leben – Werk – Rezeption erschien im Amadeus-Verlag, Winterthur.