Es ist leicht, über Marguerite Ammann zu schreiben. Und es ist schwer. Leicht, weil auf ihren Bildern soviel erzählt wird, das nachzuerzählen ist, und weil aus ihrem Leben so viele Züge zu schildern sind, greifbare, fast anekdotische. Ich brauchte nur zurückzudenken an gemeinsam verbrachte Stunden und Tage, und die Kette an bunten Bildern würde nicht abbrechen; durch fast dreissig Jahre verband uns eine Freundschaft, in die eine weitere sogleich einzubeziehen ist, die mit einem weitern Basler Maler und Dichter, der ebenfalls nicht mehr lebt: Franz Max Herzog. Es scheint mir unrichtig, von diesem Kleeblatt nicht sprechen zu wollen, denn das gemeinsam Erlebte, das Geschaute und Geschaffene war zu wichtig für alle drei, als dass es hier unerwähnt bleiben sollte.Das ist das Leichte, wenn ich beim Anlass dieser Ausstellung zum Gedenken an die Künstlerin einige Zeilen schreiben darf. Das Schwere besteht darin, dass Marguerite Ammann eine sehr vielschichtige Persönlichkeit war, die wohl auf vielen Bildern in der holden Weise einer Peinture naïve malen konnte, doch dem Leben und seinen Hintergründigkeiten viel zu sehr ausgesetzt war, als dass sie das Fragwürdige, das Dunkle übersehen und nicht den Mut aufgebracht hätte, gestaltend ihrer Herr zu werden. Ja, die Dunkelheiten bildeten für sie nicht selten Abgründe. Es waren dann die guten Geister antiker Mythologie und der Bibel, es war der Geist der Künste schlechthin, leibgeworden in Malerei, Musik, Dichtung, die sie vor dem Abstürzen bewahrten. Und es war, vor allem, der Glaube an den Wert ihrer schöpferischen Arbeit, der sie über die Fährnisse des Daseins hinwegtrug.Das Lichte und das Dunkle standen bei ihr so nah beisammen. Mit dem Lichten kann auch die Lebenszugewandtheit gemeint sein; denn Marguerite Ammann konnte sich des Lebens überaus freuen, sie konnte die Schönheit einer Landschaft geniessen, auch ein Mahl, entweder in seiner ländlichen Einfachheit oder in seiner kunstvollen Beschaffenheit; sie gab sich mit offener Freude dem Reiten hin, sie fuhr auf ihrem «Fahrstuhl» genannten Velociped durch die Strassen Basels und auf den schmalen Wegen des Tessins, sie schwamm mit Vergnügen und steuerte einst einen Dampfer über den Neuenburgersee. Unbändig war das Gelächter der Drei, wenn sie gemeinsam auf Reisen waren und wenn die Phantasie des einen oder andern ihre Kapriolen schlug.Allein das Wort, das gesprochene oder verdrehte, konnte Anlass zu reinem Vergnügen sein. Humor und Galgenhumor waren eng verbündet. Das Wissen um den schmalen Steg, auf dem man balancierte, um die Nöte im Irdischen und die freundlichen Ausweichstellen, die sich immer boten, hatte eine fast formelhafte Geheimsprache entstehen lassen, die den drei Reisenden und einer kleinen Gruppe von Verstehenden geläufig war. Dass die drei selber einst im Bild auftreten sollten, war eigentlich zu vermuten: dass es Marguerite Ammann war, die solche Darstellung wagte, bedeutete einen Glücksfall; denn nur sie konnte den drei schief durch die winterlich triste Vorstadtgegend schwankenden Gestalten die Anmut malerischer Verbindlichkeit geben. So ziehen sie denn als «Trauriges Künstlervölklein» dahin, jedes das Emblem seiner Kunst in Händen.Dass es bei der Malerin eine dunkelrote Rose ist, geschieht nicht zufällig: diese rote Rose hat bei ihr symbolische Bedeutung und kehrt oft wieder, namentlich in früherer Zeit. Wie es denn mancherlei symbolhaltige Figuren und Dinge in ihren Bildern gibt, etwa den Engel, den Pegasus, das Einhorn oder das «Bateau Persévérance». Den über der Landschaft im Himmel schwebenden Engel rief Marguerite Ammann als beschützenden Geist auf, der sie geleiten sollte, und Ausdauer musste sie sich unentwegt selber einreden: durchhalten in einem Leben voller Gefahren war nicht einfach, zumal bei einem künstlerischen Beruf. Schon der Entschluss dazu mochte ihr nicht leicht gefallen sein.Wohl hatte die Malerin an der Basler Gewerbeschule graphische Studien betrieben, wurde sie an der Stuttgarter Kunstschule zur Graphikerin ausgebildet, wohl hatte sie eine Zeitlang in London als Mitarbeiterin von «Vogue» gewirkt. Doch der Wunsch, das Gebrauchsgraphische zu verlassen und zu malen, war durch die Begegnung mit östlichen Miniaturen geweckt worden. Kühn durchfuhr Marguerite Ammann von London zurückkehrend die Schweiz und begab sich nach Ägypten, wo sie lange verweilte, und wo die ersten, höchst ungewöhnlichen Bilder entstanden, Arbeiten, in denen sich Graphisches und Malerisches mischten, und in denen jene dichterische Irrealität herrscht, die von nun an ihre künstlerische Freiheit ausmacht.Es war etwas ganz Neues und Selbständiges, was da entstand, genährt von landschaftlichen Eindrücken, von menschlichen Begegnungen, von Kunst-Erfahrungen. Dass es das uneuropäisch Andersartige war, das sie fesselte und das seinen Niederschlag im Darstellerischen fand, geht aus einem gezeichneten Bilderbuch hervor, das improvisatorisch vervielfältigt und geheftet wurde. Der Wunsch, sich von Europa zu trennen, menschlich und künstlerisch, musste im Tiefsten vorhanden sein. Marguerite Ammann kehrte aus Ägypten nicht zu uns zurück, sondern zog weiter nach Griechenland, zu einer Zeit, da jenes Land vom Westen noch nicht heimgesucht war. Von dort brachte sie Bilder mit, in denen die Farbe schon freier mitsprach. Landschaft und Geschichte klingen an, auch hier nach den Gesetzen einer Phantasie, die sich wohl anregen liess, doch im Schöpferischen selbständig wirkte. Man glaubt darstellerische Wege der östlichen Miniatur wiederzuerkennen. Indisches, Persisches, gewisse Ornamente der archaischen Griechenkunst sind aufs eigenartigste mit Erinnerungen an westlich-christliche Symbole verbunden.Die Malerin kam mit den Bildern nach Basel zurück. Ein Wagnis bedeutete es, damit vor den Beschauer zu treten. Private Basler Galerien, Marguerite Schulthess zuerst, dann Willi Raeber, Bettie Thommen, zuletzt Ernst Beyeler setzten sich für diese so besondere Welt ein, erkennend, dass hier eine ausserordentliche künstlerische Kraft, eine Geistigkeit am Werk war, die ihre Form finden würde, finden musste. Die öffentlichen Kunstinstitute, die Galerien im Ausland nahmen die hochpersönlichen Äusserungen nicht weniger zur Kenntnis; Aufträge verschiedenster Art, auch in Hinsicht auf Verwirklichung im Wandbild, im Mosaik, im Bildteppich, kamen an die Malerin heran.Doch damit wird vorgegriffen, wird von einer in sich beschlossenen Laufbahn gesprochen: nach einer ersten Griechenlandfahrt war eigentlich erst der Beginn gemacht, und es galt noch so vieles zu entdecken im Künstlerischen. Nicht ohne beschwerliche Erfolglosigkeiten vollzog sich die Entwicklung; auf die Rückschläge folgten wieder tröstliche Augenblicke des Glücks im Schöpferischen. «Das Leben verlangt nie mehr, als wir leisten können, aber manchesmal das Äusserste», so schrieb die Malerin zu Beginn des Zweiten Krieges. Und: «Man kann nur lernen fromm zu werden und am Leid zu wachsen, und ich glaube, jetzt erst recht muss man unsern Werten treu bleiben und beweisen, dass sie sind und nicht zerstört werden können. Sonst waren sie auch gar nie wirklich.»Marguerite Ammann, so wesentlich in ihrem Leben und für ihre Kunst der Osten in seiner ganzen Vielschichtig war, fühlte sich dennoch zur Auseinandersetzung mit dem Westen verpflichtet. In Florenz und Paris fand sie vor allem statt, in welchen Städten sie für Wochen und Monate weilte, oft ganz auf sich selber angewiesen: so entstanden jene Bilder in doppeltem Sinn, Bilder aus einer reichen fremden Kulturwelt und Sinnbilder des eigenen Denkens und Fühlens. «Man muss jede Farbe, jede Linie erkämpfen, und es ist, als müsse man auf einen ganz hohen Berg allein klettern, und man weiss nicht einmal das Gehen mehr, und der Weg scheint endlos weit. Mir waren die frühen Italiener und die Renaissance so gefährlich, ich weiss noch nicht warum, aber es waren lange Wochen, wo ich an ihnen Tag für Tag ärmer wurde, und mir schien, als wollten sie mir alles wieder aufzwingen, was ich in vielen Jahren habe beiseite tun müssen. Nun ist aber alles gut, und ich arbeite in der Laurenziana und sehe mir alte italienische Miniaturen an auf wunderschönen Pergamenten. Und da ist ein Buch mit den Psaltern von David, das möchte ich dir zeigen, vielleicht könntest du eine Geigenstimme darin finden, die singt und die Schwere und Süsse des ganzen Alten Testaments in sich trägt. Ich habe das Hohe Lied gemalt, und ich möchte euch so gern all das Schöne bringen können.»Ein Jahr später fuhr die Malerin zum zweiten Mal für einen längern Aufenthalt nach Griechenland. Aus Kreta schrieb sie: «Heute bin ich aus dem Innern Kretas zurückgekommen. Die Hochebene, in der Phaistos und Hagia Triada liegen, ist ein grosser wunderschöner Blumenteppich. Landschaftlich ist die Insel ein Traum; seltene Vögel, Kraniche und Reiher fliegen aus dem Schilf auf, Sommervögel und Bienen sind in den wilden, blühenden Mandelbäumen, und am Boden laufen eilige Eidechsen. Zum Malen bin ich nicht viel gekommen; man müsste ein Jahr hier leben, um dieses Land mit seinem süssen, schweren Wein und seinen Olivenhainen zu verstehen. Und dann war ich einen ganzen Tag oben in Sunion, und die Säulen des Tempels waren ganz weiss, und ich sass und malte und sah aufs Meer hinunter, und ganz nahe wuchsen seltene Orchideen. Seltsam ist es, an einen Ort wiederzukehren und zu bemerken, wie man sich in vier Jahren verändert hat und wie sehr ich nun zu Europa gehöre und dem Stück Orient, dem ich früher so gern folgte, fremd geworden bin.»Mit solchen Worten rührte Marguerite Ammann selber an das menschliche und künstlerische Problem, das sich ihr stellte; nicht nur, als sie von London nach Ägypten reiste, sondern immer wieder. Es mochte sich ihr im rein Formalen, auch in der Art stellen, wie innerhalb einer flächig-linearen, der östlichen Miniatur eigenen Schichtung der Raum zu gewinnen sei. Nicht ohne Schwierigkeiten ging die Lösung vor sich: die Malerin fühlte die Gabe, zu schildern, zu erzählen, durch die mit höchster Preziosität ins Bild gesetzten Figuren, die aus antiker Mythologie, aus der Bibel, aus der modernen Dichtung stammen, doch auch dem täglichen Leben entnommen sein konnten wie die Spaziergänger im Margarethenpark, die Reiter an der Birs, die Gäste eines ländlichen Hochzeitszuges. Doch die figürliche Erzählung musste im landschaftlichen Raum stehen, der gross und weit war.Landschaftlich Stimmungshaftes, bisweilen in grosszügig gelockerter Form übersetzt, mit dem detailhaft Geschilderten zu vereinen, gelang ihr im Verlauf der Jahre immer leichter. Die miniaturartige Feinheit verband sich mit landschaftlicher Weiträumigkeit, und Himmel- und Baumpartien konnten geradezu fliessend vorgetragen sein. Das Dichterische, auch einer Schweizer Gegend (Marguerite Ammann malte am Genfersee, im Tessin, im Wallis, am Rhonekanal, am Hallwilersee, in Graubünden, am Bodensee, malte oft auch den Blick aus ihrem Atelierfenster über den Rhein) bestimmte durchaus den Gehalt ihrer Bilder. Und Szenen von Kinderfestplätzen, aus dem Zirkus gerieten ihr als poetische Verklärungen.Der Tod aber ging um im Krieg, und durchaus nicht nur das Lichte wollte sie darstellen. Einen Schock hinterliess ein erster Aufenthalt in Nervi, nach dem Krieg. Von dort schrieb sie: «Ich wollte dir schon lange schreiben, aber bevor die Bilder nicht wirklich geboren waren, war keine Ruhe in mir. Ich selber bin gespannt, was damit sein wird, denn ich stehe ihnen seltsam gegenüber. Da sind die normalen, Il Porto di Nervi, Santa Margherita und ein rührend altmodischer Riviera-Tennisplatz. Und dann ist aber ein Palast; ich malte drei Bilder davon, einmal die Entrée, einmal das Gartenhaus, einmal den Palazzo selbst. Getreu setzte ich mich jedesmal auf mein kippendes Stühlchen, um drei Stunden später in meiner Stube alles zu verändern, in den Farben hauptsächlich, und um Figuren hineinzuerfinden, die vielleicht den Geistern der Contadini zugehören, die einmal dort wohnten und ihn erbauten. Dann ist da noch ein Engel, der sich zwischen zerbombten Kirchen zu Tode gestürzt hat. In Wahrheit stehen die Kirchen an der Via Ferrari in Genua, auch die schwarz-weiss gestreifte Front, die Bruchteile klassischer Kirchenformen, die nun zerstört sind. Es erschütterte mich so. Das Bild ist unendlich einsam, vielleicht ist es auch leer. Aber ich konnte mich nicht entschliessen, neben den Engel noch Menschen zu stellen.»Solche Briefstelle mag ein helles Licht auf die innere Wandlung und die Wandlung im Gestalterischen bei Marguerite Ammann werfen. Standen schon früher manche ihrer Darstellungen im Zeichen einer stillen, kaum ausgesprochenen Trauer, mochte manches Bild, auch wenn es noch so erzählerisch-anmutig, fast idyllisch heiter schien, im Grunde tragisch sein. Allein durch den Krieg wurde das Wissen um Tod und Zerstörung vordergründig, hiess es für die Malerin, sich damit zu befassen. Wohl flüchtete sie noch manches Mal ins Paradies, in die Gefilde erträumter Unschuld, setzte sie den Engel als rettenden Helfer ins Bild, doch auch als Richter (wie in der grossen Komposition mit Adam und Eva), wohl schuf sie immer erneut wunderbare Landschaften von reiner Poesie, schuf Fabelwesen wie die Melusinen, den Pegasus.Doch sie fühlte sich nun gezwungen, den Harlekin als tragische Figur zu zeigen, auch in Verbindung mit den schicksalbedeutenden Tierkreiszeichen. Das Zeichnerische trat gleichzeitig bestimmend hervor: erstaunlich, welche Kräfte mit zunehmenden innern Forderungen ihr wuchsen, mit welcher Bestimmtheit nun die Linie gezogen wurde, sich gelegentlich zum breiten satten Band verdichtete.Zyklisch behandelte Themen erhielten im letzten Lebensjahrzehnt die Oberhand: Harlekine im Tierkreis, Hahnenkämpfe, Musikinstrumente, Schachbretter. Der Wille, der eigenen Sensibilität, der Zerbrechlichkeit gegenüber sich zu behaupten, gab der Künstlerin die späten, grosszügig angelegten Werke ein, strenggebaute Kompositionen voll Grösse und Kraft, in deren schwarz-weissen Formeln immer auch das Symbol, hier in der Schachfigur, erkennbar wurde. Bis zur Erschöpftheit hatte sich Marguerite Ammann in diesen anspruchsvollen Werken verausgabt, die in der teppichhaften Übertragung die Bestätigung der Monumentalität erfuhren. In Collagen voller Erfindergeist fand die Phantasie ihren Ausklang. Sie künden nochmals, auf der Ebene verwandelter Gegenständlichkeit und in der subtilen Verwertung farbiger Papiere, von einem höchst persönlichen Künstlertum. Erstdruck im Katalog zur Gedächtnis-Ausstellung Marguerite Ammann, Kunsthalle Basel, 23. Oktober – 21. November 1965.