Franz Max Herzog – Schriftsteller und Maler

von Beat Hanselmann

Franz Max Herzog war ein schwieriger, ein getriebener Mensch. Sein Leben war «ein Leben der Kunst und der schöpferischen Phantasie, oft von Dämonen getrieben, oft von düstern Zweifeln erfasst, dann wieder von humorvoller Spiritualität erhoben», ein belastetes Leben, «das ungeahnte Höhen, doch ebenso tiefe Schächte der Dunkelheit kannte», genauso wie sein Wesen zwischen «überbordendem Gelächter und abgründiger Niedergeschlagenheit» wechselte. Er war egoistisch, aggressiv, dominant, herrisch, streitsüchtig und konnte jemanden bis aufs Blut quälen oder mit Verachtung strafen. «Ich behandle keine Putzfrau wie eine Königin, aber ich behandle jede Königin wie eine Putzfrau», konnte er sagen. Auf der anderen Seite war er äusserst liebenswürdig und charmant, er konnte im Handumdrehen eine ganze Gesellschaft unterhalten und in seinen Bann ziehen. Mit jedermann war er sofort «frère et cochon». Er konnte unglaubliche Geschichten erzählen und besass einen «wahnsinnigen Humor» – und er war äusserst grosszügig, z.B. mit seinen Blumensträussen: «Seine Blumensträusse waren immer ganz wunderbar, es waren Kunstwerke einer Zusammenstellung von Blumensorten und Farben, sehr phantastisch, aber immer mit einem ganz ausgesuchten Geschmack. Er verfügte dazumal über sehr viele Mittel und konnte es sich gestatten, einfach in ein Blumengeschäft zu gehen und die phantastischsten und schönsten Blumen zusammenzustellen für einen Strauss.»

 

Herzog lebte exzessiv und mit einer Intensität, die manche seiner Bekannten kaum mitmachen konnten. Von Gunter Böhmer wird z.B. überliefert, dass er nach einem Besuch von Herzog jeweils vollkommen erschöpft gewesen sei. Den Phasen besessener Arbeitslust folgten für Herzog stets Tage, Wochen oder gar Monate, während denen er zu nichts fähig war. Oft glitt er dann in eine tiefe Depression oder in eine seiner Alkoholkrisen. Diese Krisen kamen plötzlich, Herzog begann dann tagelang zu trinken, bis er das Bett nicht mehr verlassen konnte. Der einzige seiner Freunde, der ihm in diesen Situationen beistehen konnte, war Emil Hochuli, der dafür genug Kraft und Gelassenheit besass. «Psychisches und Physisches waren bei Franz Max ja immer eng ver­bunden gewesen. Seine alkoholischen Krisen waren auch psychische Krisen. Was das eine oder andere auslöste, war schwer festzustellen, ihm selber wohl auch nicht bewusst.» Herzog führte seine Krisen mitunter auf seine lebenslange Hypotonie zurück, oder darauf, dass er mondsüchtig und von Wettereinflüssen geplagt sei.

 

In den 40er und 50er Jahren behandelte die Medizin diese Fälle mit Schlaf- oder Insulinkuren, von denen Herzog dann auch einige über sich ergehen liess. So schrieb er im Februar 1942 nach einer dieser Kuren an Hermann Hesse: «Und nun, nach einer Insulinkur, nach Tagen und Wochen des Genesens und wieder Versinkens, nach hasserfülltem Anrennen gegen die Wände des Gefängnisses der Seele, der Zeit, der Angst, möchte ich zu allererst Ihnen schreiben, damit Sie wissen, dass es mir wieder besser geht.»

 

Herzog besass selber etwas medizinisches Wissen und «pflegte sich, seine Mutter und seine Umwelt den von ihm frei erfundenen medizinischen Kuren zu unterwerfen, sei es mit Tabletten, sei es mit Injektionen, mit Sonnen‑ oder Schwitzbä­dern, von denen jene in der Abbaye von Montifo bei Chartres wohl die drastischste war. Max legte sich in die Treibbeete für Salat und liess die Sonne auf die Gläser brennen.» Ein anderes Mal war es eine Kur mit Hunyadi-Wasser, einem abführenden Mittel, an der alle Bekannten teilnehmen mussten. In Faoug legte sich Herzog jeden Tag in den eiskalten Bach. Sein Leben lang nahm er irgendwelche Medikamente zu sich, oft und regelmässig auch Schlafmittel. «Auch da hatte er eine Menge zur Auswahl. Er kramte dann in seinem Medizinalsack und nahm das, was ihm für die betreffende Nacht angezeigt schien. Einmal wusste er nicht, was er eigentlich dem Beutel entnehmen sollte, denn es fehlte ihm nichts. ‹Was könnte ich nun wohl nehmen?› war seine Frage.»

 

Wie konnte sich aber ein derart schwieriger und ruheloser Charakter ausbilden? Ein Grund liegt sicher im Elternhaus. Als Franz Max Herzog auf die Welt kam, waren seine Eltern schon relativ alt: der Vater 48, die Mutter 41. Er erhielt eine «ganz verlogene Erziehung», bei der viele Äusserlichkeiten eine wichtige Rolle spielten. Mit seinen Eltern war er oft auf Reisen und lebte in den verschiedensten Hotels. Später ging er nicht in Basel zur Schule, sondern wurde in Internate «abgeschoben», wo er seine «Allüren von einem reichen jungen Mann» bekam. Der Vater war ein Tyrann und Sonderling, der seine eigene Homosexualität in der Homosexualität von Max bekämpfte und der einseitig auf Dölf, sein Lieblingskind, fixiert war und für Franz Max überhaupt kein Verständnis hatte. «Mein Vorbild ist er, der weise Vater tiefer Philosophie. Ich liebe ihn wie Gott und wollte seinen Lebenswegen folgen, doch scheint mir, dass er glaube, dass ich die gegenteiligen Pfade gehe, dass ich verseuche seinen Frieden in der Neige seines Lebens», schrieb Franz Max Herzog in einer Kurznovelle mit dem Titel «Vater». Auch der Tod des Vaters 1935 – er starb einsam und allein auf einer Parkbank im Bruderholz – konnte diese Problematik nicht auflösen, noch zwanzig Jahre später schrieb Herzog: «Aber ich bin beim Nachlesen auch auf den Kernpunkt meines Lebensproblemes gestossen, wie schon so oft: auf meinen Vater. [...] Und wie ein Wunder fielen mir bei meiner Ordnungsmanie Notizen über den Selbstmordversuch meines Vaters in die Hand, die damals in der Bestürzung und sogar wollüstig von mir aufgezeichnet wurden. Ich spreche dort immer vom lieben, weissen Gesichtchen meiner Mutter und von der Liebe, die mir mein Vater verwehrte.» In den 50er Jahren versuchte Herzog «Die Geschichte meines Vaters» zu schreiben. Bezeichnenderweise blieb dieses Buch Fragment. Darin finden sich immerhin die erhellenden Sätze: Die Streite «spielten sich meistens [...] zwischen dem Vater und dem jüngsten Sohn der Familie ab, der ihm, und das nur der vorgefassten Meinung des Vaters nach, die Regentschaft zu entziehen suchte. [...] Es schrie nach Klärung und nachfolgender Versöhnung aus allen Winkeln. Hätte ihm der Vater seine heimlich tobende Neigung vertraut, dass er im Sohn sich selbst liebe und hasse. Der Stachel des Schicksals hatte des Vaters und sein Herz vergiftet, sodass im einen wie im anderen nur Widerspruch und Abwehr gegen die insgeheime Liebe waltete, die verzagt die Maske von den Gesichtern ihrer urverwandten Seelen hob, als schauten sie mit aufgerissenen Augen in den wehen Abrund, wo aus Eigenliebe Hass, aus Liebe Scheu, Rohheit und Lüge stieg.» Am 16. April 1952 notierte sich Herzog auf einem Zettel «Ein bemerkenswertes Ereignis: Mein Vater erscheint mir zum ersten Mal wieder im Traum – seit ungefähr 10 Jahren – ihn, den ich immer das Rückgrat meines Wesens oder – um ihn poetischer zu machen – den Amselruf eines späten Sommerabends nannte. Nach einer Reihe angstvoller Verkrampfungen und Verkettungen des Traumes, die meinen Ruin und die Angst vor dem Leben besiegeln, erscheint er – wir sitzen im Kreise [mit] meinem Vater und mir unbekannter junger Menschen, [die] aber mit mir umgehen, als sei ich einer der ihren. Mein Vater – im Leben ein unnahbarer Lehrer, das Haupt der Familie in jedem Sinn des Wortes, teilt meine Meinung über viele Dinge des Lebens uneingeschränkt, und wir sind uns so nah wie in jenen seltenen Augenblicken der Vergangenheit. Er entschwindet, und ich bin stolz auf ihn. Er ist gekommen, mein mühseliges Schicksal zu wenden. Das weiss ich, und jetzt habe ich zum 1. Mal seit undenklicher Zeit wieder Hoffnung und Überblick.»

 

Die Beziehung zur Mutter war – im psychopathologischen Sinn des Wortes – komplex: Ödipus und gegenseitige Abhängigkeit. Missis, wie die Mutter genannt wurde, hatte sich ihrem despotischen Gatten vollständig untergeordnet, duldsam ihr Schicksal auf sich genommen und sich in die Krankheit geflüchtet. «Das gebrechliche Wesen war Mittelpunkt und Bindeglied in der Familie, und es gab manche Flucht in die Krankheit, welche die weit schwerere der Seele erlöste.» Sie hatte immer eine Pflegerin, manchmal bis zu drei Dienstmädchen gleichzeitig. Franz Max Herzog hat sich sehr liebevoll über seine Mutter geäussert: «Denn meine Mutter hat keine Feinde: sie hat nur Freunde», «Alle Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, fanden Trost und Ruhe. Ihr konnte man sich anvertrauen und sie wusste Rat. Feinde hatte sie keine», «Auch meine Mutter ist ein solcher Faktor der Entspannung. Wie dankbar bin ich für ihr hilfreiches, gutes und durch das Alter geläutertes Dasein. Sie wird im nächsten Jahr 76 Jahr alt sein! Aber sie ist jung geblieben und hält sich in der Innigkeit einer Mädchenseele aufrecht, steht mir bei, obwohl ihr Körper fast zerbrochen ist. Ihr Leben ist einem Heldentum vergleichbar». Herzog hat sie auf vielen ihrer Kuraufenthalte begleitet, hat zeitweise jeden ihrer Atemzüge kontrolliert, hat sie in späteren Jahren gepflegt, ihr seine eigenen Kuren aufoktroyiert, ihr die unglaublichsten Mittel verabreicht und selber intravenöse Spritzen gegeben. «Und die Mutter ihrerseits war so rührend und so duldsam, dass sie sich immer nur Sorgen machte um Max, aber nie irgendwie ein Machtwort geredet hat.» Nach dem Tod der Mutter schrieb er an Peter Mieg: «Nun glaube ich aber fest, dass auch die Liquidierung des Mutterkomplexes durch den Tod der geliebten Mutter endgültig sein wird.»

 

So wie Franz Max Herzog sich nicht in eine vorgegebene Struktur einpassen, wie er nur schwer Disziplin halten konnte, genauso wenig konnte er sich Problemen stellen. Er verdrängte sie oder deckte sie mit Alkohol oder Abenteuern zu. Er war sich dessen durchaus bewusst. «Dass ich manchmal eigentümliche Türen ins Freie aufreisse und einem Trost zueile, der gar keiner ist, zerfetzt mich noch mehr.» Oder weniger euphemistisch formuliert: «Ich spüre so abgrundtief, dass ich nicht mehr allein dahinleben kann. Stundenbesuche und Liebesspiele zerreissen mir das Gemüt.» So kommt es, dass er anlässlich der Lektüre von Thomas Mertons «Der Berg der sieben Stufen», «das die banale und völlig unliterarische Geschichte eines Milchsuppenwüstlings zum konvertierten Katholiken zur Grundlage hat», gestehen kann: «Die Geschichte eines Wüstlings könnte ich autobiographisch wohl besser schreiben». «Ich danke dem einesteils stumpfsinnigen Geschick, der Einsamkeit zu frönen, wenngleich in den zauberisch verlockenden Winkeln der Stadt vielleicht noch ein Mensch auf mich warten mag, der in anständiger Weise die Last solcher Einsamkeit abtragen würde; und anderenteils bin ich traurig, nicht genügend Mut und Jugendkraft zu besitzen, um mich der Planlosigkeit eines nächtlichen Erlebnisses fraglos hinzugeben», schrieb er an Hermann Hesse über die Zwiespältigkeit eines Abenteuers. Der Widerstand gegen die Versuchung wird dann auch in seinem Werk thematisiert: «Dieses Glücksgefühl beschirmte seinen Sieg: nämlich über der Gefahr einer Nacht erhaben geblieben zu sein, über die Nacht überhaupt, die ihn schon so oft durch wildzerklüftete Täler einem entwürdigenden Morgen zugeführt hatte.»

 

Wonach Herzog letztendlich in seinem ruhelosen Leben suchte, was ihm von seinen Eltern, was ihm als Homosexuellen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwehrt wurde, lässt sich mit den Begriffen «Heimat» oder «Geborgenheit» bezeichnen. «Wie kann man sein Leben harmonisch erfüllen, wenn man sich innerlich ständig wie heimatlos fühlt? Du weisst ja, unsere Heimat müsste aus diesem Jahrhundert enthoben sein, im Versteck und Schutz der Sicherheit, in Türmen einer mittelalterlichen Burg vielleicht, die den Feinden unserer Zeit unnahbar wären. Aber wie unmöglich ist das. [...] Es gibt aber so viele Aber und Ängste, und dieses Werweisen auf unsicherem Boden raubt jegliche Kraft, hoffnungsvoll an eine wirkliche Heimat glauben zu dürfen, selbst mit den eigenhändig gepflanzten Bäumen, die ja doch nur ein wehmutsvolles Denkmal unerfüllter Sehnsüchte zu werden scheinen.» Herzog hat sich die Geborgenheit auch humorvoll ausgemalt. «Es ist wirklich wie verhext, dass äusserliche Umstände immerzu in dem Moment verwirrend auftauchen, wenn man den Kopf voll mit Arbeit hat. Das muss scheint's in unserem armen Leben so sein. Die Panik begleitet ja ohnehin schon unser Tun und Lassen. Vielleicht ist sie es, die uns zur Rechenschaft unserer Ideen zwingt und zur Verwirklichung, ansonst wir einer Odaliske, Haremssklavin gleich auf dem Ruhebett liegen würden, mit hängenden Wangen und ebensolchem Bauch. Wie wäre das schön, wenn man sich unser nur zum Leben und zum Liebesspiel bediente, ausserhalb aller Verantwortungen und mit dem Gnadenbrot versorgt. Wie wäre ich ein geeignetes Objekt und zufrieden!»

 

Da Herzog aber weder Heimat noch Geborgenheit fand, da es nicht möglich war, lediglich auf einer Ottomane hingegossen das Liebesspiel zu erwarten, suchte er in der schöpferischen Arbeit nach einem Ersatz. Wobei ihm aber – wenn man eine Stelle in Herzogs zweitem Roman «Der lauschende Spiegel» auf den Schriftsteller selbst beziehen darf – der Glaube an sein Schöpfertum fehlte: «Ein Buch zu schreiben, gab ich mir vor, sei das innere Schicksal des Dichters, sei der Glaube an sein Schöpfertum. Muss ich mich aber in dieser Stunde nicht fragen, ob es nicht vielmehr jener Glaube war, den ich in einem Werke zuerst suchen musste, weil ich ihn im Leben nicht finden konnte? Denn anfänglich war mein Herz nicht nach dem Werk bedürftig, sondern der Liebe entbehrte es und der göttlichen Hand.» Noch deutlicher wird er in einem Brief an Peter Mieg: «Wenn mein Leben aber nicht fähig ist, sich mit irgend einer Äusserung einer künstlerischen Arbeit zu decken, so könnte ich ja in solcher Aussicht den Pinsel und die Feder niederlegen. Was bliebe mir dann noch? Nicht die harmonische Verfassung meines Geistes und eines Glücksgefühls haben mich in den Kerker schöpferischen Strebens geworfen, sondern ihre Abwesenheit. Dieses Streben sollte mir sie ersetzen.» Hier scheint die Tragik in Franz Max Herzogs Leben zu liegen. Was ihm das Leben, die Mitmenschen nicht geben konnten, sollte ihm die Kunst geben. Doch Schreiben und Malen behinderten einander gegenseitig. In jungen Jahren, vor dem Zweiten Weltkrieg, hatte er mit seinen beiden veröffentlichten Romanen einigen Erfolg. Seine weiteren Bücher blieben unvollendet, obwohl er mehr als zwanzig Jahren an ihnen arbeitete. Dafür hatte er Erfolg mit seinen Bildern, die er aus sich heraus malen musste und die immer wieder seine schriftstellerische Arbeit unterbrachen. Aber war er nun eigentlich ein Schriftsteller oder ein Maler? «Die Malerei hat eben vieles durchkreuzt und ich weiss oft nicht, ob ich ein Maler oder vielleicht doch ein Schreiber bin. Das sollte sich in meinem Alter bald einmal zeigen, parbleu!»

 

 

Biographie

Franz Max Herzog stammt aus einer Photographen-Familie aus Frick im Kanton Aargau. Sein Ururgrossvater, Joseph Herzog («Herzig» geschrieben), war Müller und lebte vom 2.9.1745 bis 15.3.1828. Er war mit Anna Maria Mösch (1.6.1748-14.9.1819) verheiratet, die aus der wohlhabenden Wirtefamilie Mösch stammte, die den «Adler» in Frick besass. Anna Marias und Josephs viertes Kind hiess Xaver (1.2.1784-27.12.1856). Xaver verheiratete sich 1821 mit Anna Maria Schmid (7.1.1798-15.4.1873) und zeugte sechs Kinder. Das fünfte Kind scheint der erste «Künstler» in der Familie gewesen zu sein und der erste, der Interessen über die Landesgrenzen hinweg pflegte. Es hiess nach seinem Vater ebenfalls Xaver und war Photograph (1.11.1833-27.5.1888). Xaver junior heiratete 1854 die Französin Viktoria Lagot (5.2.1828-22.8.1896). Die beiden hatten vier Kinder: Gustav Albert (12.10.1855-20.4.1895), Franz Emil (8.2.1857-1.8.1894), Maria Luisa (19.4.1859-?) und Gustav Adolf (3.7.1863-20.1.1935). Gustav Albert und Gustav Adolf waren beide auch Photographen. Gustav Adolf war der Vater von Franz Max Herzog.

 

Mit 29 Jahren heiratete Gustav Adolf am 2. August 1894 die sechseinhalb Jahre jüngere Emilie Müller (6.1.1870-21.2.1947) aus Stetten im Grossherzogtum Baden. Das junge Paar verbrachte einige Jahre in Indien, wo Gustav Adolf beim «englischen Vizekönig» als Hofphotograph angestellt war. Die Verbindung mit dem Vizekönig scheint sehr nahe gewesen zu sein, Gustav Adolf hat nicht nur alle Expeditionen des Vizekönigs begleiten und dokumentieren müssen, manchmal bekam er auch einen diplomatischen Auftrag. Vater Herzog hat ganz Indien bereist und nebenher noch ein Geschäft mit photographischen Artikeln betrieben. Die Mutter hatte eine grosse Dienerschaft, war aber die meiste Zeit sich selber überlassen, während den Expeditionen manchmal für Wochen und Monate. In Indien sollen zwei Mädchen zur Welt gekommen sein, die aber beide schon im Säuglingsalter verstarben und die in den amtlichen Büchern der Schweiz nicht nachgewiesen sind.

 

Nach der Jahrhundertwende, wahrscheinlich um 1907, kehrten Vater und Mutter Herzog sehr begütert in die Schweiz zurück. Sie kauften in Basel an der Gundeldingerstrasse 400 ein Haus als vorläufiges Refugium. Bisweilen suchten sie nach «etwas Besserem», haben aber nie ein anderes Haus gefunden. Vater Herzog privatisierte, und erst Ende der 20er Jahre kam sein Portefeuille durch den Börsencrash etwas ins Schwanken. Am 7. Mai 1908 kam der erste Sohn zur Welt, der nach dem Vater ebenfalls Gustav Adolf benannt wurde. Franz Max wurde drei Jahre später am 10. Mai 1911 in Basel geboren. Später hat er in seiner Mystifizierlust immer wieder behauptet, er habe in Indien das Licht der Welt erblickt, was man ihm oft glaubte, weil er, vor allem im Sommer, durchaus wie ein Inder aussah. Möglicherweise stimmte mindestens, dass er eine indische Amme gehabt hatte.

 

Dölfi, wie der ältere Bruder in der Familie genannt wurde, und Max wuchsen zusammen mit einer früh verwaisten Verwandten des Vaters auf. Es ist nicht ganz klar, ob es sich dabei um die Nichte Louise Lucie (5.2.1887-15.1.1915) oder – was wahrscheinlicher ist – um die Grossnichte Constance Lucie (*25.7.1908, 1937 nach Amerika verheiratet) handelt. Jedenfalls gehörte «Luggi» einfach zur Familie und war – in der Formulierung von Peter Mieg – «ein geschupftes Huhn». Die Buben verbrachten eine «innige Jugend», gingen in Basel zur Schule und wurden von den Eltern an alle möglichen vornehmen Ferienorte mitgeschleppt.

 

Ausser dass Max «Sammetäugli» gerufen wurde, ist nichts Weiteres von seiner Kindheit überliefert. Nur von seinem Kinder-Berufswunsch hat er später berichtet: «Auch ich wollte ja immer ein Zauberer werden, und ich habe in meinen kranken Kindheitstagen oft Zauberkunststücke unter meiner Bettdecke gemacht: mein Kanarienvogel musste in der dunkeln Wärme verschwinden und dann wieder in die halbdunkle Stube des Kindes aufflattern.»

 

Dölfi machte später eine Gärtnerlehre, während Max die verschiedensten Gymnasien im In- und Ausland besuchte, weil er für die normale Schule mit ihrer Systematik absolut untauglich war. «Von diesen teuren, internationalen Instituten bekam er seine Allüren von einem reichen jungen Mann. Man kann ihm absolut keinen Vorwurf machen, er war dort umgeben von derartigen Söhnen, die einfach in diese Internate gesteckt worden sind. Gelernt hat er also nicht sehr viel, er hatte immer Bildungslücken, die er durch Lektüre später auffüllen konnte». Immerhin machte Max den Abschluss eines Handelsdiploms.

 

Am 6. August 1929 starb Dölfi im Alter von 21 Jahren «plötzlich an den Folge einer heimtückischen, niemals recht erkannten Krankheit. Dieser Tod hatte einen Wendepunkt im Familienleben bewirkt oder besser gesagt, die tragische Ausweglosigkeit auf schnellere Touren gebracht». Nach dem Tod seines Lieblingssohnes soll Vater Herzog zwei Jahre lang nicht mehr mit Max gesprochen haben – und jeden Donnerstag musste die ganze Familie mit der Kutsche auf den Friedhof fahren.

 

Vater Herzog wollte aus Max einen Grafiker machen, und so besuchte dieser zuerst die Gewerbeschule in Basel. Anfangs der 30er Jahre wechselte er dann an die Kunstgewerbeschule in Stuttgart, wo er von Walter Schneidler und Adolf Hölzel unterrichtet wurde und vor allem in Hinsicht auf maltechnische Fragen und Gebrauchsgrafik wesentliche Anregungen erhielt. In seiner Klasse waren auch Marguerite Ammann und Lucy Sandreuter. Mehr als zwanzig Jahre später schrieb Franz Max Herzog: «Stuttgart habe ich zwar nicht geliebt, nur die gute Annie von Derschau, die Wohnung vielleicht und den verschleierten Goetheanumszauber.»

 

Annie von Derschau – im Katalog vom Staatsarchiv des Kantons Aargau als «Hofdame und Lyrikerin» bezeichnet – war wesentlich älter als Herzog und wurde für ihn so etwas wie eine mütterliche Mentorin. Kennengelernt haben sie sich wahrscheinlich in München, Frau von Derschau übersiedelte dann aber nach Stuttgart, wo sie mit Franz Max Herzog zusammen in einer schönen Wohnung in einem ärmlichen Viertel lebte. Sie war eine «kolossal geistige» Frau, hoch kultiviert, schrieb Gedichte, Aphorismen und Tagebücher, war sehr stark anthroposophisch ausgerichtet, hatte einen Sohn, der ihr viel Kummer bereitete und hie und da in Erscheinung trat. Ihr Mann war «so etwas wie Oberhofmarschall bei der Grossherzogin von Mecklenburg» gewesen, sie selber «Hofdame, wohl bis zum Ende des Ersten Weltkriegs». In späteren Jahren lebte sie getrennt von ihrem Mann und ansonsten in dauernden Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Familie. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in Garmisch, wo sie am 24. März 1953 auch starb. Sie hatte einen ausgleichenden und fördernden Einfluss auf Herzog. «Ich bin reifer geworden unter der Leitung der Frau von Derschau. Wir haben fürs Leben Freundschaft geschlossen», schrieb dieser nach seiner Rückkehr in die Schweiz. Später haben sich Frau von Derschau und Franz Max Herzog immer wieder getroffen und vor allem miteinander korrespondiert, zeitweise war sie auch Gesellschafterin von Herzogs Mutter. Franz Max Herzog widmete Annie von Derschau einen Abschnitt in seinem Roman «Der lauschende Spiegel»: «Da war eine gute Frau in meinem Leben, die mich ‹Child› rief: ‹Child, wohin gehst du?› Ich riss mich zusammen und sah sie, die Schwebende, sich aus der Vergangenheit lösen. Sie streckte mir ihre Hände entgegen, und aus ihrem Herzen floss die Freude darüber, dass mich ihr Rufen immer noch anhalten könne. Ihre Stimme gab mir ein Licht in die Dunkelheit, dem ich nachging. ‹Einst hast du dich an meine Schwäche gelehnt und damit deine eigene überwunden. Nimm nun Kraft aus meiner Einsamkeit und kehre wieder zu dir zurück.› Ihr Augenglanz versiegte, als sie meine Umkehr sah; die Nacht wurde still, und ich versöhnte mich mit ihr. Es ist gut, dass ein Wesen da ist, das einen Child ruft ... Child, bleibe dir treu.» Ein Teil der Gedichte und Tagebuchaufzeichnungen von Annie von Derschau werden im Staatsarchiv des Kantons Aargau aufbewahrt.

 

Als Franz Max Herzog nach Neujahr 1934 nach Stuttgart zurückkehrte, gab er sein Kunststudium auf. Er wollte nie mehr einen grafischen Beruf ausüben, sondern nur noch schreiben und seinen Roman fertig stellen, mit dem er sich schon in Stuttgart beschäftigt hatte. Zwar war er vom 23. März 1934 an offiziell in Basel gemeldet und wohnte bei seinen Eltern, «doch Max war ein Hotelmensch. Seit früher Jugend war er es gewöhnt, in Hotels zu leben, damals noch mit den Eltern. Später lebte er allein oft während Monaten in Hotels». Er war immer wieder der Meinung, er könne an einem neuen Ort besser arbeiten als am alten. So verbrachte er den Sommer 1934 in Venedig, Rab und Langenbruck, den Winter wohl in Basel.

 

Am 20. Januar 1935 starb der Vater. Da die Mutter nichts von Geldgeschäften verstand, übernahm Franz Max Herzog die Verwaltung des Vermögens. Wo er sich auch gerade befand, er telefonierte beinahe täglich mit seiner Bank und gab Anweisungen. Geleitet von seinem sechsten Sinn wagte er die haarsträubendsten Transaktionen, die so manchen soliden Anlageberater in die Nähe einer Ohnmacht gebracht haben mögen. Doch er lebte lange Zeit von seinen Spekulationen, und einige Male hat er mit einem einzigen Anruf Zehntausende verdient.

 

«Nach dem Tod des Vaters gestaltete Max das Haus an der Gundeldingerstrasse 400 um. Peter La Roche beriet ihn im Baulichen. Die zwei Zimmer im Erdgeschoss wurden in einen einzigen durchgehenden grossen Raum verändert. Der kleine Garten hinterm Haus wurde durch Andres Barth, den Sohn des Malers Paul Basilius Barth, umgestaltet. Das Haus, das von den Eltern eigentlich nur als Provisorium gekauft war, wurde nun zum mit grossem Geschmack eingerichteten Heim. Max kaufte viele antike Möbel, und mit seiner Phantasie für schöne, oft ausgefallene Farbzusammenstellungen erstanden reizvolle Wohnräume. Im Erdgeschoss Empfangsraum mit Sitzgruppe, gegen das Gärtchen mit Fenstertür der runde Esstisch. Seine Mutter bewohnte das Zimmer gegen Süden, mit Terrasse, im 1. Stock, gegen den Garten. Das ehemalige Elternschlafzimmer wurde maisgelb gestrichen, hatte einen Schlafdivan, den Arbeitstisch für Max, eine niedrige Bibliothek, eine Vitrine für die indischen Gegenstände. Das ehemalige Büro von Vater Herzog im 2. Stock, auch gegen Süden, wurde zum Schlaf- und Arbeitszimmer von Max. Die beiden Mansarden nach Norden waren als Zimmer für die Haushalthilfe und für Gäste da. Das fertig eingerichtete Haus bedeutete nun Heimat für Max. Was aber nicht hiess, dass er dauernd hier weilte. Sondern mit seinem Trieb wegzufahren, suchte er dauernd andere Wohnstätten, sei es, um selber den Ort zu wechseln, sei es, um für seine Mutter andere klimatische Verhältnisse zu finden.» Waren Max und seine Mutter in Basel, dann ging es «manchmal zu wie in einem Taubenhaus. Im mittleren Stock war immer die gute Missis, die furchtbar stille und zurückgezogene Frau, und zu all diesem Unfug, der in diesem Haus getrieben wurde, sagte sie kein Wort. Im Parterre, im zweiten und auch im ersten Stock ging es hin und her und war ein Ein und Aus von Menschen, es ging manchmal wirklich zu wie in einem Narrenhaus.»

 

Im Mai 1935 wohnte Franz Max Herzog in der Pension Villa Ingeborg in Locarno, den Sommer verbrachte er im Hotel Kurhaus in Langenbruck, kehrte im Oktober kurz nach Basel zurück und fuhr im November für drei Wochen nach Garmisch-Partenkirchen, wo er mit Frau von Derschau zusammentraf. Für den Sommer 1936 hatte er in Spiez das umgebaute Gärtnerhaus am Rande des Schlossgartens gemietet. Im Februar 1937 war er im Hotel Bellevue in Gstaad, im Juli im Sanatorium Haus Waldeck in Badenweiler, und den Dezember verbrachte er im Kurhotel auf dem Monte Verità in Ascona. 1938 sah man ihn in Ascona, Lugano, Paris, Wimereux, Langenbruck und Basel, 1939 in Locarno, Langenbruck und Ascona. Vom 12. August bis zum 3. September wurden in einer Gruppenausstellung in der Kunsthalle Basel zum ersten Mal öffentlich 24 Bilder von Herzog gezeigt – übrigens zusammen mit Werken von Marguerite Ammann und Peter Mieg. Es folgten die langen Aufenthalte im Tessin: anfangs 1940 in der Casa Eranos in Moscia, später in der Casa Margiana in Ascona, einem Puppenhaus am See.

 

Vom Frühling 1942 bis Anfang 1945 war Herzog vorwiegend in Basel. In diese Zeit fallen die Veröffentlichungen seiner beiden Romane – 1942 «An den Ufern versunkener Ströme» und 1944 «Der lauschende Spiegel» – sowie seine kurze, berühmt-berüchtigte Militärzeit im Brieftaubendienst des Hilfsdienstes. Schon nach kürzester Zeit hatte er alles drunter und drüber gekehrt, nach ein paar Wochen wurde er entlassen, «sie haben gesagt, er solle in die Friedmatt gehen oder sonst in ein Narrenhaus». Die Langeweile und das militärische Getue lasteten auf ihm. «Das Versteckenspielen bestimmt also den ganzen Tag. Vor den Vorgesetzten flüchtet man wie vor der Pest. Nur am Esstisch sitzt man dann scheinbar einträchtig wie Tiere zusammen und trinkt am Ende, um die Zeit der Spannung noch zu vergrössern, einen Kaffee, raucht einen währschaften Stumpen dazu. (In einer alkoholfreien Kantine.)!!!» «Dann ist sein übliches Schlafbedürfnis eben noch gekommen. Überall, wo er war, musste er immer sofort abliegen und schlafen. Sein zweites Wort war: ich bin müde. Dann erzählte er, er habe eine gepolsterte Doppeltür ausgehängt und diese schräg an ein Pult herangelegt. Und auf dieser hat er dann geschlafen, mitten am heiterhellen Tag in diesem Büro. Und da ist irgendeinmal einer dieser Oberste hereingekommen und war äusserst überrascht, dass sein Untergebener auf einer ausgehängten Polstertüre schläft. Aber das war ein Detail von Tausenden.» Ein Genrebildchen beschrieb Herzog auf Briefpapier des «Stadtkommando Basel»: «Nein, es ist doch zum kugeln, wenn man bedenkt, dass ich Dir aus lauter Arbeitsverlegenheit einen Brief schreibe und zwar ebengerade jetzt, wo ich einen Oberstleutnant im Rücken habe, der mit dem Fourier die Kasse revidiert, mit dem Geld klappert und flüstert. Es fehlt sich nur noch, dass er die Nase in mein Geschribsel steckt und die ulkige Situation in Worten dargestellt erblicken würde. [...] Jetzt, kreuzdonners Teufel, scheint ein Fehler in der Buchführung aufgetreten zu sein. Stilles und leises Zahlengeflüster im Hintergrund, Hin- und Hereilen, aufgeregtes Geldgezelle, Kassenschranköffnen, verbindliches Lächeln beider revidierender Gesichter, Verlegenheit meines anderen Arbeitskollegen, der die Lochmaschine bedient, eifrig und glaubhaft die mühselige Arbeit verrichtend, einer aus dem Zeitalter, in dem ich noch Sammetäugli gerufen wurde.... und immer wieder der Fehlbetrag von Fr. 9.60, der durchgesprochen wird. Und nun ein lautes berndeutsches ‹Gut›, ein männliches Lachen, erlösende Entspannung, Friedenscigarren glimmen nun. Mein Gott, ich glaube ich muss mein Briefchen in einen Briefumschlag stecken, sonst beugt sich der Herr Oberstleutnant doch noch freundlich über die Maschine.»

 

Den Sommer 1943 verbrachte Herzog auf Schloss Brestenberg. «Im Brestenberg war er auch monatelang. Das verrückte war, dass er dort im Zweiten Weltkrieg horstete, als dieses Hotel überhaupt geschlossen war. Und weil er die Tochter vom Besitzer gut kannte. Dort hatte er die Erlaubnis, hatte den Schlüssel zu diesem Haus. Es hatte kein Licht, kein Wasser und kein Elektrisch, und es war alles stockfinster nachts, und man lebte mit Kerzen. Es gab wirklich nirgends fliessendes Wasser, und wir hatten nur Nachttöpfe in unseren Zimmern. Und diese leerte man am Morgen über das Balkongeländer aus. Im Speisesaal sass er an einem Tisch mit Kerzen, und ich sass am Flügel mit Kerzen, und so ging das.»

 

Anfangs 1944 litt Herzog an Depressionen: «Die letzten Wochen waren eine furchtbare Kette schwarzer Tage für mich. Gott sei Dank hat mich die Grippe in den Zwang der Ruhe geholt. Ich hätte diese Zeit schwärzester Nächte und Erlebnisse sonst nicht überstanden.» Ende Jahr war Herzog wieder depressiv, weshalb er den Jahreswechsel 1944/45 in Basel im Krankenhaus Bethesda verbrachte. Von Mitte April bis Ende Juli 1945 lebte Herzog in Rives des Prangins bei Nyon in «dem anspruchsvollen Haus für begüterte Extravagante und Halbnarren». Er absolvierte hier eine seiner unzähligen psychiatrischen Behandlungen und besprach seinen eigenen Fall, seine «Nervenkrankheit» – und die Fälle anderer Patienten – mit Leopold Szondi, dem Begründer der Schicksalsanalyse, der kurz zuvor in die Schweiz emigriert und in der einstmals berühmten Klinik für kurze Zeit angestellt war, bevor er sich in Zürich selbständig machte. «Nachdem ich anfangs September von Prangins fortging, den Vorsatz in das geläuterte seelische Gepäck eingepackt, in der Stadt unanfechtbar zu wohnen, musste ich bald einsehen, dass die Stadt mit ihren lockenden Türmen und nächtlichen Strassen, das Haus, mit der verhockten Vergangenheit und auch mit der leidvollen Krankheit meiner Mutter, wieder an meiner Seele zu nagen begann. Ich bin dann sogleich fortgereist, weil ich den Zusammenbruch kommen sah. In Ober-Frick, meiner Heimatgemeinde, habe ich dann noch 6 Wochen in der unbeschreiblich schönen herbstlichen Landschaft verbracht, ganz allein mit meiner Arbeit.» Herzog hatte sich im Solbad Hirschen in Frick einquartiert, wo er das sommerliche Umkleidehaus neben dem Schwimmbad als Arbeitsstätte benutzte für ein «unbearbeitetes, völlig konfuses Ende des Daniel Destin. [...] Es müsste ungeschrieben sein». Nach Basel zurückgekehrt kam es allerdings zu einem Zusammenbruch. «Denn am 21. Dezember musste er sich wieder einmal ins Spital begeben, um dort eine Art Schlafkur durchzumachen zur Beruhigung seiner Nerven und zur Regenerierung seiner arg mitgenommenen physischen Kräfte.» Danach scheint er wieder für einige Zeit in Basel gewohnt zu haben.

 

Am 21. Februar 1947 starb die Mutter, womit die letzten Verpflichtungen wegfielen. «Es hat sich aber in den letzten Monaten gezeigt, dass ich [mich] dem furchtbaren und gleichzeitig mich erleichternden Ereignis des Todes meiner Mutter in keiner Weise gewachsen fühlte. Alles brach zusammen. Um mich her war eine öde Wüste entsetzlicher Einfältigkeiten, eine Händelei um Besitztümer. Gänge zum Gericht blieben mir nicht erspart. [...] Ich stehe vor einem vollständig neuen Leben, ohne den Mut aufgebracht zu haben, meine Heimat: mein Haus zu verkaufen. Dieser Umbruch schien mir allen materiellen Überlegungen gegenüber zu gewalttätig. Ich will noch ein halbes Jahr warten. Inzwischen werde ich an den Genfersee ziehen, in die Nähe Hermances, um dort mein so oft unterbrochenes Buch zu vollenden.» Franz Max Herzog war im Oktober in Montreux und im Januar 1948 in Gstaad. Er hatte den Plan gefasst, Ende Jahr nach Mittelamerika auszureisen. «Sie können sich denken, was dieser Abschied für mich bedeutet: der Verkauf des Elternhauses und der mir ans Herz gewachsenen Dinge. [...] Das Schlimmste aber, der Abschied von den Freunden, zerquält jetzt schon mein Herz. Ich kann nicht hoffen, dass ich, in meinem Alter, dort drüben verständnisvollere und schönere Freunde haben werde, wie ich sie hatte. Sie besassen mich und ich hatte sie. Auch an den achtjährigen, lieben Hund muss ich denken. Er war auch ein treuer Freund. Mit diesen dürftigen Hinweisen sage ich das ganze Leid aus.» Hermann Hesse reagierte verständnisvoll und aufmunternd auf diese Nachricht: «Ihr Brief überrascht mich mit der Nachricht von Ihren exotischen Übersiedlungsplänen, die mich daran erinnern, wie ich einst als Sechzehnjähriger nach Rio Grande do Sul auswandern wollte. Ich bin sehr betrübt darüber, dass wir Freunde Sie verlieren sollen! Und ich kann mir wohl denken, was dieser Schnitt und Abschied für Sie bedeuten muss. Aber dennoch sehe ich darin, und zwar vom ersten Moment an, auch das Positive und vielleicht Rettende. Solch ein Schnitt quer durch alles Gewohnte und Liebgewordene ist schwer und tut weh, aber er öffnet auch mit dem neuen Schauplatz neue Perspektiven und Antriebe. In einem von Josef Knechts Gedichten heisst es: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, / Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Daran denke ich im Zusammenhang mit Ihrem Plan, und auch Sie wissen es ja und denken daran: dass Sie mit diesem Schritt nicht nur Liebes, Wertvolles und Unersetzliches verlieren, sondern dass mit ihm auch etwas zu Ende geht, was zukunftlos und schwierig, müde und überreif war. Das liebste und schönste Haus der Welt mit den schönsten Sachen und Erinnerungen drin kann ja auch zum Kerker werden, und es mit einem Dampfer zu vertauschen, der zu neuen Ufern und Aspekten trägt, kann auch Erlösung sein, so wie eine chirurgische Operation es sein kann.» Doch diese Auswanderung wurde wegen der Unruhen in Costa Rica immer wieder verschoben. Schliesslich wohnte Herzog dann vom Dezember 1947 bis zum Februar 1949 in Faoug am Murtensee, zeitweise sicher im Hotel Les Rochettes. «Hier, am Murtensee, ist es unsäglich friedsam, und die Landschaft auf dem Hochplateau war während dieser warmen und sonnerfüllten Zeit der letzten Wochen einfach verzaubernd. Die verhaltene, höchst unaufdringliche Schönheit der welligen Hügelzüge und breiten Täler verlockt zu andächtigem Schauen. Die Gedanken werden beim Anblick des Zaubers geruhsam, und das Gemüt vergisst die irrsinnige Belastung der übeln Zeit. In den Wäldern sind die Holzfäller tätig. Manch Feuerchen führt zu ihnen, und das Schlagen der Äxte tönt poetisch. Das sind andächtige und gesunde Gesellen, meist sehr junge Menschen, die vor dem Antritt einer Lehre noch die ganze Frische der Natur in sich sammeln, ein Sackgeld für die unerprobte Zukunft erwerben. Letzthin sah ich unter ihnen einen 85 jährigen Mann, der mit ungebrochener Kraft mittat. Die Jungen sagten: ‹Celui là est avec ses 85 ans jeune comme nous›. Und so war es auch. Tritt man dann aus dem Wald, so ist man in der grünen Weite der Felder, im Hellbraun der Äcker, über denen die Lerchen trillern, Raben auffliegen. Staren hat es hier, Fischreiher, die sich manchmal weit ins Land verirren, krächzende Möwen, die hinter den Pflügen herfliegen. Mein Pudel lockt manchmal Hofhunde an. So ziehe ich oft mit einigen Hunden über die Felder. Bald werde ich die Fusswege begehen müssen, da der momentane Frühlingsregen die zum Wachsen drängende Natur zur ersten Reife entfaltet. Aber auch diese kleinen Wege werden schön sein. Sie führen durch Wälder zu kleinen Bächen, auf sanfte Anhöhen.» Im März oder April 1949 zog er dann nach Paris, «nachdem ich ein so einsames und beileibe trauriges Jahr auf dem Lande verbracht habe. Es ist mir nichts gelungen. Das wird besser werden, wenn ich den Kontakt mit der ‹humanité› wieder habe. Für mein Naturell ist es noch nichts, mir so allein überlassen zu sein.» Wahrscheinlich 1949 verkaufte er das Haus in Basel. «Es hat mir viel mehr Mühe gekostet, als ich je glaubte, meine Zelte in Basel abzubrechen, um eine Art von Auswanderung nach Paris anzutreten. Und hier musste ich mich im wahren Sinne des Wortes ansiedeln und dann Wurzeln fassen in einem Boden, der wahrhaft revolutionär genannt werden kann. Würde ich heute sagen, dass sich mein Wesen hier schon akklimatisiert habe, so wäre das ein vollendeter Selbstbetrug. Immerhin bin ich soweit, dass ich mich nicht mehr so ganz in der Fremde fühle.» Vom April 1949 bis Ende 1950 wohnte er zunächst im Hôtel des Saints Pères an der gleichnamigen Strasse. Im Sommer 1949 machte er einen Ausflug auf die Ile d'Oléron, wo er in der Auberge de la Forêt ein kleines Zimmer bewohnte. Am 11. August 1950 meldete er sich beim Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt offiziell von Basel ab.

 

Ab Januar 1951 besass er dann in Paris seine eigene Wohnung an der Rue de Varenne Nr. 35 im siebten Arrondissement. «Die verschleuderte Nervenkraft, eine Wohnung in Paris zu kaufen und dann mit meiner Habe einzurichten, ist kaum mit dem Resultat aufzuwiegen, obwohl gelegentliche Besucher in Entzücken geraten, wenn sie die äussere und innere Harmonie der Dinge, Formen und Farben trefflich finden.» Auf dem Dach schuf er sich eine Gelegenheit zum Sonnenbaden und installierte eine Dusche. Für Besucher war es ein Obligatorium, beim Nacktbaden mitzumachen. Doch der «Pariser Sturm im Wasserglas» zehrte an seinen Kräften, und bereits im Sommer 1952 suchte er nach einer Fluchtmöglichkeit. Er fand sie in Landes le Gaulois. In der Folge benutzte er die Wohnung nur noch zwischendurch für ein paar Wochen, die restliche Zeit vermietete er sie. Schliesslich verkaufte er sie Ende 1955. «Nun ist die Wohnung verkauft und zwar an eine âme soeur im eigentümlichsten Sinne: er (ein Amerikaner) ist gleich alt wie ich, ein Maienkäfer mit Pudel, Schriftsteller-Maler, Vater und Mutter im gleichen Monat wie meine Eltern geboren und mindestens ebenso verrückt wie ich. Zu merkwürdig. Auch hat er keine Verwandten mehr.»

 

Vom Oktober 1952 an lebte Herzog nun die meiste Zeit in dem «mir ans Herz gewachsenen» Landes le Gaulois. Das Dörfchen liegt in der Nähe von Blois, welches seinerseits in der Mitte zwischen Orléans und Tours liegt. Herzog hatte zuerst das Herrschaftshaus entdeckt, das Château St. Martin, das einst eine Abtei gewesen sein soll. Am Ende des Parks stand die Chaumière, in die er sich schliesslich einmietete. Oft lebte er hier wochenlang ganz abgeschieden und alleine, manchmal zusammen mit seinem Freund Philippe Ponsonnet, den er 1951 in Paris kennengelernt hatte. Er arbeitete an seinen Romanen, malte – und widmete sich seinem Gemüse und seinen Blumen. Die Wintermonate zog es ihn später jeweils an die Côte, vom Januar bis April 1955 nach Bormes les Mimosas, vom Januar bis April 1956 nach Sanary sur Mer und vom Dezember bis März 1957 nach Cabasson.

 

Anfangs 1956 musste sich Herzog Gedanken über die berufliche Zukunft von Philippe gemacht haben. Eine Idee war, «eine boutique d'antiquités zu erstehen, an der ich aus der Ferne mithelfen kann, einem Radar gleich und nach Möbeln in der Provinz suchend. [...] In Philippe aber, der eine kultivierte Passion und auch eine Spürnase für schöne Dinge hat und voller Ideen, gleichzeitig ein geduldiger Bäscheler und äusserst sparsam und vorsichtig ist, habe ich Vertrauen. Er muss natürlich von mir sekundiert werden, und das tue ich gerne, zumal ich selbst nach einer Existenzmöglichkeit ausschaue, die mit Schreiben und Malen vereinbar ist.» Diese Idee nahm in der Folge immer konkretere Formen an. Am 15. Februar 1957 wurde der Mietvertrag für ein Ladenlokal an der Rue Jean Aicard 13 in Ste. Maxime, einem Nachbarort von St. Tropez, unterzeichnet und der Zins für neun Jahre bezahlt. «Es hat eine Esszimmerküche und im ersten Stock drei kleine Zimmer. Der Laden besteht aus zwei Lokalen, die ineinander gehen und von einer dreitrittigen Treppe verbunden sind, hat zwei Vitrinen und viel Charme. Auf dem Hauptplatz am Meer ist noch eine ziemlich grosse Publizitätsvitrine zu unserer Verfügung, sage und schreibe hinter der Notdurftanstalt des Ortes, hinter der Vespasienne!» Vor der Übernahme wurde die Fassade und die beiden Ladenteile gemalt, «inwendig ist es hellblaugrau und das äussere Kleid weiss mit heftiggrünem Holzwerk».

 

Bevor aber die «Boutique Philippe Pons» mit «Couture», «Frivolités», «Bibelots» und «Antiquités» am 1. April 1957 Eröffnung feiern konnte, gab es noch viel Arbeit. «Mir stehen die Haare zu Berg. Keine Minute freie Zeit mehr. Paraventschassis warten auf Bezug und Konfektion, von den Phantasiebreloques ganz zu schweigen, die ich den lieben langen Tag anfertige: Halsketten mit Eicheln, Setzbohnen, Zypressenfrüchten, Muscheln décapiert, Perlen in allen Farben, Pailletten, Schwimmer für den Fischfang, Glasscherben zu fascinierenden bijoux vom Wellengang des Meeres geformt werden verwendet und alles, was man da in dieser Gegend für brauchbar findet. Schon sind ein Dutzend solcher Ketten entstanden. Frag mich bloss nicht, mit wie viel Aufwand von Geduld und Nervenverschleiss. Philippe lässt die Nähmaschine rasseln und hat schon allerhübscheste Dinge für die Sommerweiber zusammengeschustert. [...] Oft bin ich ganz verzweifelt, dass ich nicht an meiner eigentlichen Mission sein kann, und ich fühle mich mitunter herabgewürdigt, wenn ich wie eine Fabriklerin an meinen Halsketten sitze.» «Zum Lachen haben wir immer noch Zeit, besonders wenn Philippe am Ende seiner Kräfte die hübschen kleinen Dingelchen von Röcken und Blüschen anprobiert und sich mit meinem Schmuck Ohren und Hals behängt. Philippe kann Tränen lachen und ich auch, und das zwar meist nach Mitternacht. Aber diese Ausgaben, besonders mit den Stoffen, Antiquitäten und bibelots. Mir wird es oft angst und bang, denn meine ganzen Reserven gehen drauf. Ich will nun Philippes Eltern drängen, dass sie eben so viel Geld in die Affaire stecken wie ich, damit die Verantwortungen genau geteilt sind. [...] Jedenfalls wirst Du in bezug auf Ausgefallenheiten auf Deine Kosten kommen, besonders auch was die bijoux de phantaisie anbelangt: es ist hirnwütend, was für Materien ich dazu verwendet habe. Z.B. les grottes de vers de terre, im Backofen gebrannt und dann lackiert und zu Ohrenclips verwandelt, säuberlich präparierte Kopfskelette von Seeigeln, die an Schnüren aufgezogen zwischen farbigen Perlen an Colliers prangen, Ohrenringe aus Moos mit Steinchen besetzt und last not least Gummidragées in buntesten Farben vermengt mit Glasperlen ebenso zu Colliers verfertigt und das alles recht solid und in Anbetracht der Tobsüchtigkeit und Unsoigniertheit der Frauenzimmer.»

 

Die Boutique hatte von Anfang an einen grossen Erfolg, doch sie war noch keine drei Wochen geöffnet, als Philippe verschwand und erst nach sieben Wochen tot aufgefunden wurde. Herzog hatte viel von seinem Geld in diese Boutique gesteckt, eine schriftliche Abmachung gab es scheinbar nicht. Jedenfalls musste er sich nach Philippes Suizid mit dessen Familie herumschlagen und auf seine eigenen Sachen noch Erbschaftssteuer bezahlen. Er versuchte den Laden abzustossen, fand aber lange keine Interessenten. Erst im Herbst 1959 konnte er Ste. Maxime verlassen.

 

In einem Brief schilderte Herzog, wie es später in der Boutique manchmal zu und her ging: «Und bisweilen hat's auch recht nette Menschen, die Freude zeigen an dem, was mir am Herzen liegt, oder vertrackte Hurenweiber mit aufgeklebten Wimpern und Fasshüten von Hutnadeln gespickt (in Basler Trams erinnere ich mich gelesen zu haben: Ungeschützte Hutnadeln sind verboten), und die dann ihr Leben von der Geburt bis zu den wogenden Wechseljahren breitschreien, mit Zähnen, aus Magazinen entlehnt, blinken, und ständig den kleinen Finger [abspreizen], dessen Beere ebenso rot ist wie eine framboise oder wie das Jabot eines Kardinals, nur aber durch die ständige Berührung mit dem rouge à lèvre gekommen. Meist sind es Schauspielerinnen oder krächzende Cabaretstars: Die Bekanntschaft wird mittels einer aus irgend einem Handsack hervorgezerrten Broschüre, zum Beispiel «Weekend à Paris» oder «Les semaines de Paris» bewerkstelligt, wo sie das Titelblatt mit ihrer feschen Dreiviertelsnacktheit schmücken. Seit einer Woche habe ich nun täglich etwa zwei Mal die Visite der Susy Solidor [...]. War sie dann eine Stunde lang hier und hat alles drunter und drüber geneust, ohne eine Sekunde den Wortschwall angehalten zu haben, muss ich schnurstracks in die obere Etage, um mich für eine Weile auf den Boden zu legen. Manchmal geht sie mit irgend einem Schmückestück an den Ohren oder um den Hals davon, nachdem sie gemarktet hat wie eine Bazarjüdin, und unlängst habe ich ihr einen Jupe und einen Bolero angehängt (wobei sie sich aber weigerte, das Wagenrad von Hut abzunehmen pour cause, wie ich nachher sah: ihr Haar war in einiger Unordnung, um es gelinde auszudrücken), und nun will sie mit den Extravaganzen einige Propaganda machen.»

 

Im Frühling 1959 fuhr Herzog kurz in die Schweiz und sah sich in Luzern nach einer möglichen Unterkunft um. Als er die Angelegenheiten der Boutique einigermassen geordnet hatte, übersiedelte er schliesslich im Herbst nach Luzern, wo er in der Pension «Lützelmatt» wohnte und im Gartenzimmer arbeiten konnte. «Hier im Garten und im Gartenzimmer ist's ungemein schön und ländlich mit Blick auf blühende Obstbäume und Cerisen, und unten ‹ruht› der Wagnerische See, während die Gebirge einem in Popocatapetelsches Gebiet versetzen. Urschweizerisch klingen allerdings die Kuhglocken her – die Wirtin ist eine verbesserte Auflage der Kemper in Locarno, einfach rührend und köstlich.» Die «Wirtin», Wilma Hammelbacher, fand ihn ihrerseits «schwierig, aber auch wunderbar», und sie hat von ihm kochen gelernt – «kochen kann ich ja, wie man mir oft sagte, wie ein Gott!» Die Miete wurde von einem seiner Freunde, Harry Brown, bezahlt.

 

Franz Max Herzog war ein gebrochener Mann, einsam und mit schlechtem Gewissen wegen Philippe; «kalt ist es im Gartenzimmer, und weder oben noch unten bin ich eingerichtet oder durcheinandergerichtet: alles liegt wie Kraut und Rüben herum ganz wie im Inneren, sodass ich vor lauter Verzweifelung die letzten paar Tage wie in guten alten Zeiten im Garten gewercht habe mit Spaten, Sense und so weiter, Philippe vermissend und ihn doch eben ganz und gar in meinem Herzen fühlend, in jenem Landes [le Gaulois], wo das Herz des Pudels und auch meines geblieben ist. Und wie könnte ich nun Oua Oua brauchen und mit ihm wettern und geifern und ihn für alles verantwortlich machen, er, der wie ich, immer mit schlechtem Gewissen herumzog.» Der Pudel war Amy, der über 13 Jahre lange Herzog überallhin begleitet hatte und im Dezember 1954 gestorben war – «Ich nenne ihn Mal- und Schriftstellergehilfe und er ist mein bester Freund». Oua Oua – oder auch Wawa – war Herzogs nächster Hund, «chien clochard, que nous avons receuilli à Cabasson», der im Februar 1960 verunfallt war, «quelles violences – toujours! Oua Oua est mort, un train a tué le petit philosophe si aimé».

 

Die Ausstellung seiner Bilder im Kunstsalon Wolfsberg in Zürich vom 2. bis zum 30. März 1961 wurde für Herzog ein grosser Erfolg – «und ich stehe noch bis Ende Woche im Hintergrund, um bisweilen vorgeführt zu werden. Das ist in den seltensten Fällen lustig, in den meisten aber geradezu katastrophierend, wenn nerz- und schmuckbehangene Damen von ihren Geldnöten reden, sozusagen lächelnd eingesponnen wie Lüge in die Wahrheit». Eine nächste Ausstellung in Lenzburg war schon geplant. Am 1. Juli 1961 schrieb er in der «Lützelmatt» sein Testament: «Ich hoffe, dass ich keinem der getreuen Wohltäter nach meinem Tode eine ungetilgte Schuld hinterlassen muss: jedenfalls sterbe ich dankbar am wiedergefundenen Glauben an den Menschen an sich, der mir durch die Wohltat der Freunde und durch ihr Vertrauen neu belebt wurde, der mich selbst zum Mensch und Maler machte.» Mit der «ungetilgten Schuld» spielte Herzog auf die finanzielle Unterstützung an, die er die letzten zwei Jahre seines Lebens von Freunden erhalten hatte.

 

Ende August kehrte er von einer Frankreichreise mit einem grossen Furunkel zurück, weigerte sich aber, einen Arzt aufzusuchen, obwohl ihm oft «sterbenselend» war. Am 6. September 1961 ging es ihm in der Nacht sehr schlecht. Seine Wirtin rief den Arzt, der bei strömendem Regen nachts um halb Zwei kam und eine Spritze verabreichte. Er wies Herzog in die nahe gelegene St. Anna Klinik ein, wo dieser am Abend des 7. September 1961 verstarb – möglicherweise an einem Herzinfarkt. Am 11. September erschien in den «Basler Nachrichten» ein Nachruf von Peter Mieg. Am 12. September um 11 Uhr wurde Franz Max Herzog auf dem Friedhof Friedental in Luzern im Einzelgrab Nr. 275 beerdigt. Bei der Auflösung des Grabes 1981 kam der Grabstein nach Italien. Hans Georg Matter und Peter Mieg wurden als Nachlassverwalter eingesetzt, eine langwierige Aufgabe: mit Costa Rica musste über eine ausstehende Erbschaft von Franz Max Herzogs Vetter verhandelt werden; es drohten ein posthumer Prozess und Schadensersatzforderungen wegen angeblicher Verführung eines erpresserischen Minderjährigen; es stellte sich heraus, dass die Angelegenheiten in der Boutique in Ste. Maxime nicht restlos geklärt waren; alle möglichen Personen wollten noch etwas in ihre Taschen bekommen; Franz Max Herzogs Habe war an verschiedenen Orten in Frankreich und der Schweiz verteilt.

Von 1962 bis 1966 wurden Herzogs Bilder alljährlich in einer Ausstellung gezeigt, dann nach einer langen Pause nochmals 1974. Danach ist es still geworden um ihn.

 Beat Hanselmann

 
FMHMoritz Reich