«Mit nichten, liebe Nichte!» sagte einmalig und unwiderruflich Madame Armand Tarlatan; aber die Angeredete war weder lieb noch Nichte, sondern der eheliche Gemahl, der bescheiden eine Einwendung gegen Madames Toilette zu machen versuchte, denn es ging übers Bohnelied, was sie heute wieder angezogen, und wie oft schon hatte er Bemerkungen von seiten der Oberhofmeisterin I. M. der Kaiserin einstecken müssen. Hätte Eugénie Ð die Szene spielt im Zweiten Kaiserreich Ð nicht so kindliche Freude am Kindlichen gehabt, Madame Armand wäre längst am Hofe verfemt gewesen; doch durfte sie es sich gestatten, sich in eine Boa von Straussenfedern zu schnauben, eine Aeolsharfe als Tiara aufzustecken oder am Busen einen Veilchenstrauss zu tragen, der eine winzige Spieldose barg, die sich beim geringsten Luftzug, so aus einer riechenden Nase strömte, in Bewegung setzte. Madame Armand galt bei Hofe als Bonapartistin pur sang und durfte mit Eugénie sogar Haschen spielen. Zu Hause tat sie sich natürlich erst recht keinen Zwang an und empfing den neuen Adel und die snobistische Gesellschaft von Paris, als wäre alles in bester Ordnung. Sie konnte dem Herrn von Pesigny sagen «mon cher duc», als umfasse ihre hohe Stimme sein ganzes Herz, und niemand ahnte ihr heimliches Laster. Nicht einmal ihr Gatte; doch, wir betonten schon, Monsieur Tarlatan hatte wenig zu sagen, das heisst nichts.Heute war Verrückten-Soiree; die fand jeden Monat einmal bei ihr statt und vereinigte weniger die hoffähige Politik als die Kunst, und Kunst war im Zweiten Kaiserreich nicht hoffähig. Madame schritt durch die hellerleuchteten Salons in den Saal, wo schon einige ihrer Gäste versammelt waren. Ein Ruf des Entzückens entfuhr diesen, als sie sie langsam einherziehen sahen, eine Schleppe schleppend, auf deren äusserstem Ende eine brennende Petrollampe mit smaragdgrünem Schrim stand. Wie neu! Wie erfinderisch! Geneviève Taboutière musste freilich zugestehen, dass ihr solch dezenter Schlusspunkt der Robe nicht in den Sinn gekommen wäre; sie war eine bekannte Velocipedistin und erschien kurzerhand in Pumphosen, und statt des Ridiculs hatte sie eine Velopumpe am Arm hängen, der sie von Zeit zu Zeit ein Cachou entnahm. Philine Philigranatoulos, die sich mit Carolyne Citro‘n, der Grossmutter des nachmaligen Herstellers von Automobilen, unterhielt und zu denen sich M. Petitfours, der Hofzauberer gesellte, stiess einen kleinen Schrei aus und klatschte vor Wonne Carolynen auf den weissen Nacken, als sie der Hausherrin ansichtig wurde, deren Toilette nicht nur durch einen illuminatorischen Effekt auffiel, sondern auch einen akustischen. Nämlich es piepste was im Haar. Mich ach! und oh! und hihi! umringten sie die Gäste, standen auf die Zehen, hoben ihre Nasen in die Luft, um zu erfahren, welch’ Phänomen sich da bemerkbar mache. Madame Armand indessen lächelte vielsagend und wissend, zog, als sie die erregte Aufmerksamkeit des gesamten Salons auf sich gerichtet fühlte, einen goldenen Kamm aus dem kunstvollen Haargebäude: der Turm löste sich in wallende Strähnen auf, und zwitschernd entflogen sieben schimmernde Kolibri, die sich aufgeregt auf den Coiffuren der händerringenden Damen einnisteten.Dies die Ouvertüre des Empfangs. Madame indessen hatte noch andere überraschungen bereit, und als Herr Tarlatan die kichernden Gäste zum Sitzen genötigt, erschien gross und melancholisch und griechisch angetan die Sängerin Théodosienne, die eine Lyra aus Pappe an den Busen drückte, präludierend an einigen verstimmten Saiten zupfte, einen schweren Augenaufschlag tat und also, in psalmodierendem Ton und archaischem Französisch, zu singen anhob:«Ich war kahl.»«Bravo! Bis!» schrie die Herzogin von Malporté, denn sie war etwas taub und hatte falsch gehört. Das hinter Palmen versteckte Orchester, die Gelegenheit wahrnehmen, spielte einen Tusch, und darauf konnte die Sängerin ihre Litanei von vorn anfangen.«Ich ware kahl. Ich tauchete mein Haupt in Aspasias Haar Ol (sie sang âOl’), weil mir da verheissen ward: tauche dein Haupt in Aspasias Haar-Ol, und nach dreimal zehen Tagen wird dein Haar wachsen, und siehe, als der Mond umb ware, sprossete es für und für.»Théodosienne setzte die Lyra ab und wandelte melancholisch, wie sie gekommen, von hinnen, indes das Publikum, diesmal mit Recht, bravo! rief und applaudierte, denn die Nummer war zu Ende. Die Duchesse von Malporté aber wandte sich an ihre Nachbarin und mit der Frage «Qu’est-ce qu’elle chante?» offerierte sie ihr das Hörrohr. Geneviève entnahm ihrer Velopumpe ein Bonbon und liess es in den Trichter gleiten, denn mit ihrem Geiste war sie anderswo. Nun wurde in Spitzgläsern Champagnerwein gereicht, und M. Petitfours, köstlich angeregt, nahm die Petrollampe von Madams Schleppe, wirbelte sie in die Luft und sich selbst dazu, indem er in dreifachem Salto mortale sie umkreiste und, die Lampe in den Händen, elegant wieder auf die Füsse zu stehen kam. Mit lächelnder Herablassung lehnte er Beifall ab; denn, nicht wahr?, solche Bagatelle aus dem unerschöpflichen Vorrat seiner Kunst bedeutet ihm, improvisiert und gnädig hingestreut wie sie war, höchstens ein Zwischenspiel, ein Entrement, ein Sorbet. Die Herzogin, die sich erschöpft auf einen Stuhl aus Vogelfedern niedergelassen hatte, winkte ihn zu sich heran, und nun musste er ihr ausführlich den Kongress der Zauberer in Baden-Baden ins Hörrohr malen, auf dem er kürzlich Frankreichs Prestidigitateure vertreten.Carolyne Citro‘n indessen verlangte einen Krakowiak zu tanzen, und obgleich für Paris diese Form nicht mehr sehr gebräuchlich war, blieb M. Tarlatan keine andere Möglichkeit, als seinem Orchester einen Krakowiak zu befehlen, und aus dem Palmenhain erklangen die Melodien des damals jungen Moszkowski, zu denen Frau Citro‘n und mit ihr eine Reihe der Geladenen jene heftigen Rhythmen stampften, wobei die Damen ihre Schleppen graziös um den Arm wickelten, den Herren die Ordensterne des Zweiten Kaiserreichs aber haltlos auf dem Leibgewölbe hin- und herhüpften. Philine tanzte mit Tarlaten; in der Ekstase jedoch liess sie ihn unversehens stehen, wirbelte allein über das Parkett, riss sich mit schierem Lachen ihr Glycinienarrangement von Busen und trat es mit Füssen. Der Frenesie scheinen alle Schleusen geöffnet, das Orchester tobte, die Gaslüster bebten, die Duchesse warf ihr Hörrohr mitten in den Saal.Da öffnete sich eine Tür, die zu den innern Gemächern der Hausherrin führte, und hereinschlich, mit dem Maul zierlich und sorgfältig eine Riesenallongeperücke haltend, eine Katze. Der Sturm erlosch im Nu, und an seine Stelle trat massloses Erstaunen, das an Entsetzen, ja an Panik grenzte: denn was hatte in diesem kaiserlich gesinnten Hause eine Perücke, Symbol der endgültig begrabenen Könige, zu bedeuten?Toutou, die Hauskatze, blickte schillernden Auges um sich, beschrieb einen artigen Zirkel mitten durch die Tanzenden, das Lockennest unverwandt hinter sich herziehend, und verliess den Saal stumm durch die Tür, durch die sie eingetreten. Wie von Magie gezogen folgte ihr aber die gesamte Gästeschar. Wo es mottet, da ist ein Feuer, wo es klingt, da ist Musik: so glitten die eben noch Vergnügten, den Prickel der Neugier im Nacken und in der Hoffnung, Unerlaubtes aufzudecken, der Katze nach, durch Korridore und Antichambres bis zum Gemach der Gnädigen.Da bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. «Hilf Himmel Schwester Bertha bleich», mit diesem Zitat aus Wilhelm Tell sank Philine in eine kalte Ohnmacht, denn sie konnte den Anblick nicht ertragen. Geneviève, so geistesabwesend sie sonst war, entpuppte sich als tatkräftige Krankenpflegerin und blies vermittels Velopumpe Luft in die Naslöcher der Verunfallten. M. Tarlatan selbst aber (jetzt konnte er, der nie zum Zimmer seiner Dame vordringen durfte, Rache nehmen für sein unterdrücktes Mannstum) ergriff das Objekt des Entsetzens. Auf dem Kaminsims, zum Hausaltar zurechtgemacht, stand nämlich, des Lockenwalds entblösst, eine wundervoll bemalte Büste des Sonnenkönigs. Gekränkt, doch jeder Zoll ein Triumphator, trug Monsieur den Beweis einer geheim gehaltenen bösen Leidenschaft von dannen, sorgte dafür, dass des Kaisers Tribunal seiner Gattin den Prozess machte und fand die Strafe nur allzu gelinde. Madame wurde vom Hofe ausgestossen und von der Kaiserin persönlich ins Ohrläppchen gebissen.Was machte es ihr schon aus? Sie erhielt aus dem Faubourg St. Germain viele ermunternde Briefe, Buketts und Fruchtkörbchen und veranstaltete von jetzt an schonungslos royalistische Soireen. Sie trug seit jener Zeit statt eines Hutes die weisse Allongeperücke, und als sie 1925 hochbetagt starb, widmete ihr Léon Daudet in der «Action Française» einen hinreissenden Gedenkartikel.