KOMPONIST COMPOSITEUR COMPOSER COMPOSITORE 

Foto © Thomas Cugini

Foto © Thomas Cugini

 

Der musikalische Nachlass von Peter Mieg in der Paul Sacher Stiftung

Sämtliche kompositorischen Manuskripte von Peter Mieg befinden sich seit 2018 in der Paul Sacher Stiftung in Basel, wo sie die Bestände im Bereich der Klassischen Moderne ergänzen. Peter Mieg war seit den späten 1920er Jahren mit dem Basler Dirigenten und Mäzen befreundet. Ein Kompositionsauftrag von Sacher an Mieg ist denn auch das Werk Combray (1977) für Streichorchester – eine Hommage an den von Mieg bewunderten Romanautor Marcel Proust.https://www.paul-sacher-stiftung.ch/de/sammlungen/k-o/mieg-de-20191009.html

 

Peter Mieg gehörte seit 1950 zu den viel beachteten und gespielten Schweizer Komponisten seiner Generation: Aufträge und Aufführungen verbanden ihn u.a. mit dem Zürcher Kammerorchester, den Festival Strings Lucerne, dem Orchestre de Chambre de Lausanne, der Tonhalle-Gesellschaft Zürich, Radio Basel und der Pro Helvetia.
 Aufgrund seiner starken Affinität zur französischen Kultur nimmt er Mieg unter den Deutschschweizer Komponisten seiner Generation eine Sonderstellung ein, die auch die Ästhetik seines musikalischen Werkes prägt. Im Zentrum des Oeuvres stehen 13 Instrumentalkonzerte, Kammer- und Klaviermusik, neben einer Sinfonie, Werken für Kammer- und Streichorchester, Vokal- und Ballettmusik. In seinem Oeuvre entwickelte Peter Mieg auf der Basis einer erweiterten Tonalität einen Neoklassizismus eigener Prägung. Das Frühwerk der 1930er und 1940er Jahre widerspiegelt mit polyphonen und polytonalen Passagen die Strömungen seiner Zeit. Das Werk nach 1950 steht unter dem Bemühen zunehmender struktureller Klarheit, verbunden mit rhythmischen Impulsen, Kantabilität und konzertantem Gestus. In den seit den 1960er Jahren verstärkt sich die  Transparenz des Klanges, der poetische und lyrische Esprit und die Betonung der melodischen Linie.


Der 1906 in Lenzburg geborene Aargauer Komponist Peter Mieg gilt unter seinen zeitgenössischen Komponistenkollegen als Aussenseiter; sein Beharren auf traditionellen Formen und dem Prinzip der Tonalität brachte ihm schon häufig den Vorwurf des «Unzeitgemässen», Epigonalen ein. In seinem Oeuvre lassen sich in der Tat Einflüsse etwa von Bartók, Strawinsky, Poulenc, Prokofieff und Martin, in neuerer Zeit gar von Tschaikowsky und Brahms feststellen. Doch sind sich die meisten Betrachter darin einig, dass es Mieg durch eine sehr individuelle Handhabung der musikalischen Elemente gelungen ist, zu einem persönlichen, charakteristischen Stil zu finden.Peter Miegs Musik ist - trotz den oft viele Assoziationen zulassenden Werktiteln - absolut; sie folgt der Maxime seines Lehrers Frank Martin, nur das zu schreiben, was einem zutiefst gefalle. Als Resultat des langwierigen und von starker Selbstkritik begleiteten Schaffensprozesses sucht Mieg ein musikalisches Ideal, einen musikalischen Satz zu verwirklichen, der vom Hörer beim ersten Mal erfasst werden kann, der sich durch Verständlichkeit, Durchhörbarkeit und Kantabilität auszeichnet. Miegs Musik will den Zuhörer nicht irritieren, sie will im besten Sinn des Wortes unterhalten - eine Unterhaltung allerdings, die grosse Kunstfertigkeit erkennen lässt und bei aller angestrebten Einfachheit jede reine Oberflächlichkeit meidet. Das gelöst-konzertante Klangideal des Komponisten, hervorstechendstes Merkmal seiner Musik, schliesst dabei eine gewisse Hintergründigkeit mit ein. Miegs Musiksprache ist trotz ihrer Gelöstheit kein gedankenlos unbeschwertes Musizieren; hinter der meist hellen Fassade werden immer wieder auch ernstere Töne angeschlagen - Indiz dafür, dass der eigene künstlerische Weg manchen Hemmnissen und Widrigkeiten zum Trotz eingeschlagen und verfolgt wird. Peter Mieg selber äusserte 1981, seine künstlerische Überzeugung zusammenfassend: «Nur das Lichte, das Eindeutige, das Heitere gilt. Dass einen dunklen Untergrund hat, wer wollte dies leugnen?»

Eine grobe Unterteilung von Miegs Werk in verschiedene durch bestimmte stilistische Entwicklungen geprägte Schaffensphasen wird primär durch das Jahr 1950 hergestellt. Mit dem Wechsel von den vierziger zu den fünfziger Jahren ergab sich für den Komponisten der Durchbruch von einer als zu kompliziert, zu undurchhörbar empfundenen, auch harmonisch verästelten Schreibweise zu einer gelösteren, verständlicheren Musiksprache. Diesen Wendepunkt im eigenen künstlerischen Schaffen (zuerst ersichtlich im «Divertimento» für Oboe und Streichtrio von 1950 und im «Concerto da camera» für Streicher, Klavier und Pauken von 1952) ist jedoch nur einer von mehreren stilistischen Entwicklungsschritten.

Die ersten Kompositionsversuche Peter Miegs stammen aus dem Sommer 1918. Es sind kurze, einfache Klavierstücke in Anlehnung an klassische Vorbilder, denen bald eine Kinderoper nach Hans Christian Andersen und die - als erste Komposition ins Werkverzeichnis aufgenommene - Phantasie «Winter» für zwei Klaviere (1921) folgen. Eigenständigere Züge gewinnen die Werke in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre. In nicht weniger als sieben Konzerten für zwei Klaviere soli bis 1935 entwickelt Mieg eine Handschrift, die sich durch motorische Rhythmik, komplizierte harmonische Verhältnisse und eine teils spielerische, teils schroffe Haltung mit abrupten dynamischen Wechseln auszeichnet. Vorbilder jener «zweiten Schaffensphase» waren nicht nur Bartók und Strawinsky; starken Einfluss übten Satie, die Sonatensätze Scarlattis und ein neobarockes Klavierkonzert des russischen Dirigenten/Komponsiten Igor Markevitch aus.

Zu Beginn der vierziger Jahre, während der Arbeit an einem Konnzert für zwei Klaviere und Orchester, stellt die Uraufführung von Frank Martins Ballett «Aschenbrödel» durch Paul Sacher und das Basler Kammerorchester im März 1943 ein musikalisches Schlüsselerlebnis dar. Mieg findet in diesem Stück das ihm selber vorschwebende Klangideal verwirklicht; die Kontaktaufnahme mit Martin führt zu einer mehrere Jahre währenden Beratung durch diesen in kompositorischen Fragen. Die zunehmende Verdichtung seiner Werke in den vierziger Jahren befriedigt den Komponisten jedoch immer weniger. Sehr deutlich manifestiert sich diese Suche nach einer gültigen persönlichen Musiksprache im Jahr 1949, wo verschiedene Tendenzen nebeneinander zu finden sind. Während Mieg in einem Notturno für Violoncello und Klavier mit der Zwölftontechnik experimentiert, präsentiert sich das Violinkonzert desselben Jahres als auch harmonisch sehr dichtes, einheitliches, schwerblütig-expressives Werk. Die ebenfalls 1949 entstandenen «Quatre chants sur des poèmes d’Algimantas Narakas» für Sopran und Klavier hingegen weisen in ihrer sehr viel lyrischeren, subtileren Art bereits deutlich auf die Kompositionen der folgenden Jahre hin. Mit der Komposition des «Divertimentos» 1950 und dem Erfolg des «Concerto da camera» (1952) am Schweizerischen Tonkünstlerfest in Lausanne 1955 war der gordische Knoten gelöst: Das Divertimento ist das erste der heute in der Regel aufgeführten Werke Miegs; gleichzeitig begann die Komposition mit zunehmendem Bekanntwerden Peter Miegs gegenüber Malerei und Journalismus in den Vordergrund zu treten. Nach dem «Concerto da camera», das auf tonaler Basis Zwölftonreihen miteinbezog, folgten in den fünfziger Jahren eine ganze Reihe gewichtiger Werke in grösserer Besetzung. Als wesentliche Merkmale der in den fünfziger Jahren entstandenen Kompositionen sind zu nennen: homophone Setzweise bei vereinfachter Harmonik; Rhythmik als prägendes Gestaltungselement; zunehmende Kantabilität gegen Ende der fünfziger Jahre; zum Teil einander gegenübergestellte Klangblöcke. Trotz der nun gefundenen eigenen, klassizistischen Ausdruckshaltung kann bereits für die Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren eine weitere Entwicklung festgestellt werden: Das in den fünfziger Jahren meist sehr straffe, strenge rhythmische Gefüge wird nun weicher, und mit dem Abnehmen des Rhythmischen als massgebendem Element wird der melodischen Linie vermehrt Gewicht beigemessen. Es ist eine poesievolle Lauterkeit, die aus diesen Werken spricht - Werke, die im Rahmen des gesamten Oeuvres als exemplarisch gelten dürfen. Die für diese Werke typsichen Charakteristika gelten weitgehend bis heute:Bemühen um eine verständliche Tonsprache; klassizistische Haltung; Transparenz des Klangbildes; ausgesprochen konzertanter Charakter vieler Stücke und Einzelsätze.Hauptsächlichste formale Elemente: Sonatensatzform, dreiteilige Liedform, toccatenhafte Bewegung; Abschluss schneller (v.a. Schluss-)Sätze mit einer Stretta.Kompakte, homophone Setzweise; durchgehender musikalischer Fluss ohne einschneidende Zäsur und mit dramatisch verdichteten Steigerungen.Tonale Harmonik, allerdings häufig nicht im Sinne der konventionellen Funktionalität (Akkordverbindungen); Umspielen und Alterieren der Akkorde; Pendeln zwischen Dur- und Mollterz; Tendenz zur Vereinfachung.Zunehmende Ausprägung und Gewichtung der Melodik; kaum abgeschlossene Themen, sondern Fortspinnen eines Motivs bzw. Themenansatzes; Themenreprisen meist variiert; oft starke Chromatik.Seit den fünfziger Jahren Vereinfachung im Bereich des Rhythmisch-Metrischen; Taktwechsel nur noch bei längeren formalen Einschüben; rhythmische Nuancierung u.a. durch Synkopenbildung.Dynamik im konventionellen Bereich zwischen pp und ff; häufiges Gestaltungsmittel ist das Unterbrechen von Crescendi durch Neuansetzen im subito piano.Bemühen um eine instrumentengerechte Schreibweise; Beschränkung auf traditionelle Spieltechniken; trotzdem zahlreiche spieltechnisch heikle Passagen.Der Begriff «Manierismus» ist dem Gebiet der Kunstgeschichte entliehen; er kennzeichnet im Rahmen dieses Aufsatzes die Werke der letzten Jahre, mithin einen sechsten Abschnitt in der stilistischen Entwicklung Peter Miegs. Wenn diese Charakteristik auch vor allem in den Kompositionen der 80er Jahre zutage tritt, so lässt sich ein Einfliessen «manieristischer Züge» in die Stücke Miegs bereits in der zweiten Hälfte der 70er Jahre ausmachen. Sehr viel deutlicher als im Begriff «Manierismus» kommt diese kompositorische Eigenheit in der von Peter Mieg ebenfalls verwendeten Charakterisierung «Romantischer Klassizismus» zum Ausdruck. Bezugnehmend auf die üblicherweise als «klassizistisch» bezeichnete stilistische Haltung Miegs ist darunter eine kompositorische Technik zu verstehen, die im Einfügen «romantischer» Phrasen und Wendungen in eine entstehende Komposition besteht. Miegs Vorliebe für Tschaikowsky und Schumann äussert sich also in einer Art «stilistischem Rückgriff». Dieser geschieht in zweierlei Art und Weise: einerseits ganz bewusst mit dem Erfinden eigener und dem verfremdenden Verwenden bestehender «romantischer» Melodielinien als «hintergründige Zitate», andererseits wohl auch als durchaus unbewusst vorgenommene romantische Färbung von Melodik und Klangbild - ein Vorgang, der sicherlich durch die Tendenz zur Vereinfachung der Ausdrucksweise seit den 50er Jahren begünstigt wird. Wenn Peter Mieg diese manieristische Technik als «kunstvolle Collage», als «Verfremdung von Bestehendem» und dessen Einbringen in einen neuen Zusammenhang definiert, so muss ergänzt werden, dass Beginn und Ende eines solchen Einschubs nie als eigentlicher Bruch zum Vorhergehenden bzw. Darauffolgenden erscheinen. Vielmehr bleibt die Geschlossenheit des musikalischen Ablaufs gewahrt. Miegs manieristische Technik hinterlässt nicht den Eindruck eines aus verschiedenen Bestandteilen zusammengefügten, heterogenen Ganzen, sondern den einer homogen fliessenden Musiksprache, die sich mit einem romantisierenden Anstrich gewisser melodischer und harmonischer Passagen präsentiert. Recht häufig ist die Exposition einer solchen romantischen Wendung als Hauptthema eines Satzes: in diesem Fall ist der Übergang des Themas zur einsetzenden Verarbeitung des musikalischen Materials in der sich verstärkenden Chromatik und einer leichten Trübung der Harmonik hörbar.Peter Miegs Schaffen, eingebunden in einen starken Traditionsfluss und anknüpfend an den Neoklassizismus Strawinskys, Martins und anderer, aber darin doch - und anderen Zeitströmungen zum Trotz - eigene Wege beschreitend, hat in den letzten Jahren eine Tendenz zur Vereinfachung erfahren. In der täglichen, beharrlichen Arbeitsweise, vordergründig durch die Arbeit an Auftragswerken veranlasst, kommt dennoch Schönbergs Erkenntnis: «Kunst kommt nicht von können, sondern von müssen» zum Ausdruck: «müssen» im Sinne eines Schaffensdranges, der aus einem inneren Zwang heraus jede Aussage verwirklicht, die dem Ausdrucksbedürfnis des Künstlers entspricht. Miegs konsequente Arbeitsweise verbindet sich mit einem geschärften künstlerischen Bewusstsein, das sich mehr auf das eigene kompositorische Tun konzentriert, als dass sie die ständige Auseinandersetzung mit «aktuelleren», dem eigenen Ideal aber häufig als entgegenlaufend empfundenen kulturellen Ausprägungen sucht. (gekürzt aus: Michael Schneider, Zum neueren Schaffen des Komponisten Peter Mieg. Schweizer musikpädagogische Blätter, Juni 1989. S. 89-97)


Die Begriffe, mit denen Miegs Kunst umschrieben wurde, betonen immer wieder das Feine und Delikate: geistvoller Stil, untrüglicher Geschmack, Lauterkeit des Ausdrucks. In der Liebe zum französischen Kulturkreis fand er jene Eleganz, jene Leichtigkeit, die für ihn immer verbindlich bleiben sollten. Er bekannte sich zur erweiterten Tonalität, zur Dominanz der Kantilene; die historischen, „klassischen“ Formen blieben für den retrospektiv denkenden Komponisten stets massgebend.Musik – und Kunst überhaupt – nicht als gesellschaftliches Bekenntnis, sondern als poetische Botschaft. Damit stand Peter Mieg in den grossen Umwälzungen unserer Zeit abseits, und er blieb darin konsequent.

Fritz Muggler, Tages-Anzeiger


In der lichten Klangwelt, die er erschafft, bewegt sich Mieg mit feinstem künstlerischen Takt. Seine Ausdrucksweise ist immer dezent, die zarten Spannungen herrschen vor, und selbst wo schärfere das Klangbild bestimmen und auf knappem Raum angelegte Steigerungen Entwicklungen zusammenfassen, geschieht es mit Mass (…) die gleiche Tendenz zur durchsichtigen und aparten Darstellung der musikalischen Gedanken (…) die einheitliche Grundbewegung ist vielmehr ein wesentliches Merkmal von Miegs formal ausserordentlich klar und überzeugend aufgebauter Musik.

Willi Schuh, Neue Zürcher Zeitung