von Beat Hanselmann
Peter Mieg und Franz Max Herzog lernten sich 1933 nach einer Vorstellung im Stadttheater Basel kennen. Die erste Begegnung war im Restaurant der Kunsthalle und wurde vom Schauspieler und Regisseur Wilfried Scheitlin vermittelt, der die Idee hatte, dass beide am Künstlerisch-Kreativen interessiert sein müssten. Die Beziehung zwischen Mieg und Herzog war von Anfang an aufs Seelisch-Geistige und aufs Künstlerische ausgerichtet und sofort äusserst intensiv. Peter Mieg: «Ich teilte eigentlich sein Leben von diesem Augenblick an. Weil wir beide kreative Menschen waren, ist diese Bindung möglich gewesen. Sie war vor allem darum möglich, weil wir beide denkbar verschieden waren. Es gab keine grösseren Kontraste, als Max und mich. In jeder Beziehung, in der menschlichen Haltung und in der künstlerischen Haltung, es ist alles denkbar verschieden gewesen. Weil Max eben ein kolossal vehementer und draufgängerischer, ein dämonischer Typ war und auf alles entsprechend heftig reagierte. Und ich habe auf alles sehr gelassen reagiert. Das reizte ihn manchmal wahnsinnig. Doch zuletzt musste er immer lachen, und er sah doch, dass es gar keinen Sinn hatte, bei mir etwas verändern zu wollen. Das war völlig ausgeschlossen. Ich habe bei ihm nie etwas verändern wollen, weil ich sah, dass es nichts nützt. Er hatte seinen eigenen Charakter und musste sein eigenes Leben leben. Aber die Verbindung war erst durch diese Verschiedenheit so gross und dauerhaft. Über alles, was das Künstlerische anging, hat man sich immer ausgesprochen und gegenseitig konsultiert. Dann kommt dazu, dass er sich mit mir per Telefon unterhalten hat. Von überallher sind seine Anrufe gekommen, jeden Tag, manchmal ein paar Mal am Tag. Und sie waren alle endlos. Bei diesen Telefonaten konnte er Fragen zu seinem Roman, an dem er dran war, oder seinen Bildern, die er malte, aufwerfen und diese Fragen diskutieren. Das Telefon war ein Apparat, der ihn mit einer dämonischen Gewalt angezogen hat, und er musste telefonieren. Nicht nur mit mir, sondern auch mit seinen andern Freunden hatte er ebenso eifrige Gespräche. Ich weiss, dass er mit Moilliet auch endlose Gespräche hatte.» «Diese Gespräche waren meist Monologe von Franz Max. Sie waren faszinierend und uferlos. In ihnen kamen die beiden Gesichter dieses Menschen, die Schwermut und der Humor, übergangslos zur Geltung. Das war das Ungeheuerliche: das Dämonische, mir Unheimliche in unmittelbarer Nachbarschaft mit seinem Witz, wenn ich ihm auch auf den Wegen des Übersinnlichen nicht folgen konnte, so doch auf den Wegen des surrealen Witzes. Hier konnten wir uns stunden-, ja tagelang auf der Ebene eines für andere kaum verständlichen Nonsense unterhalten, uns in spielerische Träume steigern, die mit einem grossen Gelächter endeten. [...] Einer brauchte nur ein Stichwort zu liefern, und schon lief die Maschinerie des Irrschwatzens, das oft die Grenze des Wahnwitzes berührte. Das konnte im persönlichen Gespräch sein, aber auch am Telephon [...]. Der Ton des schillernden Irredens wurde gewahrt alle die Jahre hindurch». «Es kam vor, dass Franz Max tagelang nur Englisch redete, sowohl mit seinem Pudel wie mit mir.»
Als Peter Mieg 1938 sich in Lenzburg niederliess und immer mehr von seiner kompositorischen und journalistischen Arbeit festgehalten wurde, während Franz Max Herzog sein destinationenreiches Leben führte, wurden die persönlichen Begegnungen zwangsläufig seltener. Neben den Telefongesprächen blieb der Kontakt durch einen umfangreichen Briefwechsel bestehen. Rund 350 Briefe von Franz Max Herzog an Peter Mieg sind erhalten geblieben, von Mieg an Herzog nur vereinzelte. Franz Max Herzog teilte seinem «lieben Pips» in diesen Briefen von Herzens- über Geldangelegenheiten bis zu Wohnungs- und Kunstfragen die ganze Palette seines Lebens mit. Die Hochachtung der Mutter: «Als meine Mutter Deinen Artikel in der Weltwoche über mein Buch las, sagte sie gerührt, dass Du mein einziger Freund ohne Harm und Hintergedanken seist»; die Tiefe der Freundschaft: «Und das wollte ich Dir als heiliges Versprechen geben: auch ich werde mit allen Mitteln der Liebe und Freundschaft immer an Deiner Seite stehen. Ich bin Dir von Herzen wie keinem andern Menschen verpflichtet»; die Klage über das Getrenntsein: «Wie waren jene Wiedersehen erquickend und wie waren wir von den starken Strömungen unserer Freundschaft umfasst. Und nun sitzt jeder auf seine Art hinter seinen Plänen, getrennt voneinander, und ich muss mich trösten, was mir an Erinnerung bleibt»; die Sehnsucht nach Zusammensein: «Ich sehne mich oft so nach Dir, weil Du der einzige Mensch bist, der mir Beispiel und Anregung zugleich ist. Wenn wir doch nur einmal einige Jahre miteinander arbeiten könnten. Ich weiss, dass wir über den Durchschnitt hinaus leisten könnten», «Mein geliebter Peter und Herzensfreund – ich wollte ich könnte mehr um Deine verstehende Seele sein»; Erinnerungen: «Ich denke oft an die lächerischen Redewendungen und an den heiligen Gesprächsblödsinn in Lenzburg zurück. Wir könnens so gut miteinander, und es funkt nur so im Irr- und Hellsinn»; Pläne für ein gemeinsames Alter in Lenzburg: «Aber vielleicht kann ich später einmal, wenn ich noch mehr ausgereift und nichts mehr als Arbeit und Arbeit im Kopf sitzen habe, über Dein edles Haupt einziehen, und wir könnten uns dann mit einem einzigen Hausdrachen einrichten. Ich habe schon öfters daran gedacht: so eine Art Alters- und Gestörten-Heim».
Der unerwartet frühe Tod von Franz Max Herzog 1961 hatte für Peter Mieg neben dem persönlichen Verlust auch weiterführende Konsequenzen. Zusammen mit Hans Georg Matter betreute er den Nachlass und setzte sich später für eine Reihe von Ausstellungen mit Herzogs Bildern ein. Die letzte dieser Ausstellungen fand noch 1974 in Lenzburg statt. Vor allem aber wurde auch Mieg einer grösseren Öffentlichkeit als Maler bekannt. Hatte er in früheren Jahren nur selten einzelne seiner Bilder öffentlich gezeigt, so erzielte seine erste grosse Ausstellung einen solchen Erfolg, dass er fortan regelmässig ausstellte. Zu dieser Ausstellung in der Galerie Rathausgasse in Lenzburg kam es, weil die Bilder von Herzog durch die Erbschaftsformalitäten blockiert waren und die mit ihnen geplante Ausstellung ausfallen musste. Peter Mieg sprang für den verstorbenen Freund ein und zeigte seine eigenen Gouachen.
Beat Hanselmann