Mit einem Knall schlug Apollonia das Fenster zu und zog den weissen Vorhang vor. Was brauchte die von drüben wieder zuzusehen, wenn sie ihre Vergissmeinnichtstöcke im Abendlicht malte? Ging das jene etwas an? Apollonia Vonderach räumte missmutig ihr Malzeug beiseite, wusch die Pinsel aus und kratzte die Palette rein. Die Stimmung war ihr verdorben, und lieber wollte sie es ein andermal wieder versuchen. Sie nahm ihr Strickzeug hervor (sie besass ein kleines Geschäft für Stricknadeln), probierte verschiedene Nadeln am gleichen Muster aus und sann daneben über ihre Erfindung nach, das zusammenklappbare Malsofa. Wie bequem musste es sein, wenn sie Sonntags damit über Land ziehen, es im Dachauer Moor aufschlagen und, zusammen mit all den Münchner Kollegen, wenn auch nicht als Professionelle, so doch als unter den Malerinnen der Freien Secession anerkannte Künstlerin, die weidenden Kühe und Stiere am Bachesrand malen würde. Im Grunde war die Erfindung so gut wie vollendet, nur war ihr die Anbringung einer letzten Schraube noch unklar: das Sofa sollte sich glatt in dem Futteral versenken lassen, das sie bereits gestrickt hatte.
Drüben, bei der verhassten Nachbarin, war indessen Licht angegangen; Apollonia löschte das ihre und konnte durch den dünnen Vorhangen sehen, wie Harmonika Zudemweh ihrerseits sich ans Malen machte: denn auch sie frönte dieser Leidenschaft. Auch sie betrieb sonst ein Geschäftchen, für Reiseandenken, und dann und wann gelang es ihr, eines ihrer auf Holz gemalten Bildchen mit Ansichten aus Bayerns Hauptstadt abzusetzen; selten genug, denn in der Hauptsache verkaufte sie Löwen aus Gips, goldglänzende Bavarien oder Miniaturabbildungen der Frauenkirche.
Apollonia hielt es nicht mehr aus. Die Nebenbuhlerin ungestört malen zu sehen, trieb ihr das Blut in den Kopf, schnürte ihr die Kehle zu und machte ihr Herzweh. Sie schob den Vorhang heftig zur Seite, riss das Fenster auf und schrie über die enge Gasse: "Die alte Baubo kommt allein", was Harmonika damit quittierte, dass sie mit ihrer Zunge das Hexenzeichen machte und ihrerseits das Fenster zuschmiss. So hatten sie sich wieder einmal gründlich geärgert, und dieweil Apollonia über die letzte Schraube sann, dachte Harmonika über die Erfindung der aufblasbaren Staffelei: auch sie war ein Erfindergeist und unablässig mit ihren Gedanken um die Lösung eines Problems kreisend, die ihr im Dachauer Moor einst die Bewunderung der Kolleginnen eintragen und ihr selber die Bequemlichkeiten komfortabler Sonntagsmalerei erlauben sollte.
Die Nacht senkte sich auf München, und wie abertausende von Nächten sich schon kummerlösend über Tausende von Malern und Malerinnen gebreitet hatte, hiess sie nun auch die zornigen Damen sänftiglich den milden Schlaf ihres Jungfrauendaseins finden, und dieweil die eine vom zusammenklappbaren Malsofa träumte, träumte die andere von der aufblasbaren Staffelei.
War es Winter, kamen sie sich weit weniger ins Gehege, denn dann waren die Fenster geschlossen und malte jede hinter gezogenen Vorhängen. Im Sommer aber war es in München jener Zeit Mode, bei offenem Fenster zu malen, und nicht nur aus den Stuben Apollonias und Harmonikas war das Geräusch des Farbenreibens, des Pinselwaschens, des Leinwandspannens zu vernehmen, sondern allenthalben flohen diese Laute sonst friedvollen Kunsteifers auf die Gassen hinaus. So kam es, dass die Beiden mehrmals, in ihrer Künstlerehre sich angetastet fühlend, krachend die Fenster zuschlugen, und einmal verstieg sich die Kennerin Goethes zu dem schrecklichen Schimpf: "Herr Urian sitzt obenauf", worauf Harmonika Zudemweh schnaubend eine Tube Preussischblau hinüberschnellte, die indessen ihr Ziel verfehlte und auf die Gasse fiel, wo sie von einem Passanten zertreten wurde, denn Preussischblau war in München vogelfrei.
Der Sommer war ins Land gezogen, neigte sich seinem Ende zu und sah die beiden Malerinnen noch dünner und dürrer als je zuvor, denn der Ärger hatte ihnen zugesetzt; irgendwie fühlten sie, dass sich das Drama dem fünften Akt nähere. Es war auch kaum mehr zum aushalten: statt dass sich die beiden beim Malen gegenseitig zuzuschauen versuchten, sich gewissermasen beruflich über die Schultern blickten, standen sie nun am Fenster, schnitten Grimassen, bewarfen sich mit zweideutigen Zitaten und fanden den Gipfel der Beleidigung darin, sich nur dreist ins Angesticht zu blicken. Eine jede setzte zu diesem Zweck den Kneifer auf, stützte die Hände auf dem Fenstersims und glotzte. Dass beide kochten, war nur daran zu erkennen, dass die Zwickerschnüre leise zitterten und die Hälse sich langsam blähten. Das Ende solch stummen Ringens war dann, dass sie sich Ach! und Weh! zukeiften.
Es war Ende August, der letzte Sonntag des Monats. Apollonia hatte das Glück, auf die vollendete Erfindung zu blicken und hängte das Futteral mit dem zusammengeklappten Sofa über den Arm. Saffelei und Leinwand hatte sie im Rucksack verstaut, den Reformrock angezogen, den Strohhut aufgesetzt und den Schleier umgebunden. Also verliess sie ihr Heim und machte sich auf nach Dachau, wo im Moor schon viele Kolleginnen auf der beliebten Uferwiese Posto gefasst und den obligaten Stier am Bachesrand skizziert hatten. Harmonika ihrerseits hatte den Reformrock angezogen, den Strohhut aufgesetzt, den Schleier umgebunden, die Leinwand unter den Arm geklemmt, die Staffelei, ihre aufblasbare Staffelei sorgsam in dem am Handgelenk baumelnden Ridikül geborgen. Auch sie fand am selben Wasser, doch am Gegenufer, schon eine ganze Gesellschaft von Sonntagsmalern vor: sie alle malten ein Stück grünes Moor, etwas blaues Wasser und den Stier mit dem weissen Mittagslicht auf dem Rücken.
Apollonia und Harmonika sassen sich gegenüber. Wäre es anders denkbar gewesen? Doch nicht malten sie das Moor und den Stier, sondern, Entsetzen! eine Karikatur der Rivalin. Steif sassen beide hinter der Leinwand, Kopf aufgereckt unter dem flachen Hut, den Schleier knapp zurückgeschlagen, und beide verströmten ihren ganzen Hass in das Bildnis. Dann und wann liess einer der Malerkollegen im Vorbeiwandern den Blick auf das Gemälde fallen und konnte sich des Kicherns nicht erwehren. Nicht lange ging es, so hatten sich ansehnliche Grüppchen um die beiden Künstlerinnen geschart und Ausbrüche freien Gelächters stoben von Ufer zu Ufer, und je mehr die Zuschauer über das Porträt der einen lachten, desto boshaftere Akzente setzte die andere. Schon lange schauten die malenden Fräuleins das Vorbild nicht mehr an, sondern schufen auswendig; die Pinsel begannen kreischend vor böser Lust über die Leinwand zu fahren, die Paletten in den Händen zu beben bis zu jenem Augenblick, da beide den Höhepunkt erreicht fühlten.
Zwei Mänaden gleich erhoben sie sich wie auf ein Stichwort, eine jede das bearbeitete Gemälde in den Händen. So rannten sie wehenden Rockes ins Wasser und schlugen sich in ohnmächtigem Schmerz die Leinwände auf den Hut. Hilf Himmel! schrieen da die Kollegen und Kolleginnen und beeilten sich, die Kämpferinnen zu trennen. Doch zu spät. Schon versanken die schwankenden Figuren, mit den Keilrahmen ineinander verzahnt, in der Flut, aus der erlösendes Gurgeln zu vernehmen war.
Damit hatte die Tragödie ein Ende, und der greise Vorsitzende der Münchner Malerinnung, damals zufällig anwesend, konnte aus den getrübten Wassern statt zweier Karikaturgemälde ein einziges Bild ziehen, das in zarten Farben Fräulein Vonderach und Fräulein Zudemweh in apollonischer Harmonie engverschlungen und rosig lächelnd im Sonntagsstaat vereinigt zeigte: sanft wehten da die Reformröcke im Abendwind um die dürren Glieder, munter hoben sich die Schleierchen von den flachen Hüten ab, freundlich blitzten die Kneifergläser, und jede trug im Arm, symbol friedlichen Kunstfleisses, ihre Erfindung.