Zwar mordete sie nur auf dem Papier. Dies aber wie! Jeder Leser weiss, wen ich mit Agatha und dieser Mörderin meine: die Unvergleichliche, die Unvergessliche, die Königin des Kriminalromans. Ich bekam sie, leider, nie zu Gesicht. Auch eine der ungezählten verpassten Möglichkeiten meines Lebens. Und ich hatte doch eine Krimi-Oper geplant, deren Libretto die Königin des Englisch-Unterrichts, Mary Hottinger, hätte schreiben sollen. Sie war einverstanden mit meinem Vorschlag, auch mit der Idee von Anfang und Ende der Oper.
Soll ich nun mit dieser Idee mitten hineinspringen, wo es sich doch um ein Denkmal handelt? Ach, Denkmale sind ihr nun zur Genüge gesetzt worden in Form von Nachrufen, die geschmückt waren mit Bildern der freundlichen, der lächelnden Mörderin, einmal mit Brille, einmal ohne Brille, einmal im Hut, einmal en cheveux, einmal mit dem Schwert einen Kuchen anschneidend, einmal in der Badewanne.
Halt! Das ist nicht wahr. Das britische Imperium hätte es nicht zugelassen, Lady Agatha in der Badewanne zu photographieren, geschweige denn solch indezente Aufnahme zu veröffentlichen. (Zwar sind gerade die lockersten Sitten vom britischen Imperium zu uns aufs Festland gedrungen; die Sitten haben sich dort gelockert, weil sie so lange an der Leine gehalten waren.) Aber eine Dichterin in der Badewanne? Nein, das war zuviel.
Und doch war die Badewanne für die Erfinderin der ungezählten Morde so wichtig. Was wurde da alles erwähnt: die schönsten Morde seien ihr beim Geschirrspülen eingefallen oder beim Schälen von Äpfeln. Nun, ich glaube einfach nicht, dass Lady Agatha Geschirr gespült hat. War sie fürs Geschirrspülen geadelt worden? Oder fürs Apfelschälen? Weder noch. Sie sass wohlmöbliert in ihrem Haus, sass eingebettet in tiefe seidene Polster, liess sich gewiss bedienen: denn für eine Mörderin im Geiste, die jährlich oder monatlich, ich bin nicht sicher, neunzigtausend Pfund verbrauchen konnte, fand sich sogar in England eine Stubenhilfe.
Meinerseits hätte ich gern ihre Äpfel geschält, auch wenn ich dieses Handwerk schlecht beherrsche, hätte ich auch gern ihr Geschirr gespült, wenn ich dies auch nur mangelhaft tue. Indessen in der Nähe dieser Unalltäglichen zu sein, wäre doch zu köstlich gewesen. Über ihr Verhalten gegenüber Besuchern gehen die Nachrichten auseinander. Über ihr Verhalten gegenüber Opernkomponisten ist nichts bekannt. Vielleicht wäre ich der erste und letzte gewesen. Und doch wäre es wohl unumgänglich gewesen: ein Gespräch mit ihr, deren Bücher den Stoff abgegeben hätten.
Meine Idee war die: die Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang hätte das Wabern im Badewasser gemalt. In warmem Badewasser, versteht sich, im Unterschied zum Wabern des kühlen Rheins in den Nibelungen, aus dem die Rheintöchter auftauchen. Nur kurze Takte. Dann hätte sich der Vorhang langsam gehoben (ich möchte bei dieser Gelegenheit an die subtilen Differenzierungen im Tempo des Vorhanghebens und -senkens bei der begnadeten Dichterin Julie Schrader erinnern, deren Drama jüngst auf den Theatern unseres Kantons, nicht unseres Landes, geboten wurde; unser Land, die Schweiz, kommt in der Entdeckung einer Dichterin wieder einmal zu spät).
Man würde in ein Badezimmer blicken, reich vergoldet. In der Wanne, aus der stimulierende Dämpfe steigen, ist Lady Agatha zu sehen, meinetwegen einen geschälten Apfel essend, jedenfalls nicht singend, sondern konzentriert vor sich hinsinnend; denn nun, bei dieser Tätigkeit, legt sie sich den nächsten Mord und dessen Aufdeckung zurecht.
Meinerseits möchte ich die von der Autorin selbst überlieferte These von den Anregungsmöglichkeiten der Badedämpfe mit dem längst aus der Literatur bekannten Satz Richard Wagners "J'aime sentir monter des odeurs" in Verbindung bringen. Auch er brauchte Wasser und Dampf, dazu parfümierten, und er konnte sich in seinen Briefen an die junge Holde in Paris, Judith Gautier, kaum genugtun, massenhafte Bestellungen auf Badessenzen aufzugeben, betont geschäftlich sprechend, nachdem er sie zu Eingang seiner Liebe versichert hatte. Man wird ewig nie wissen, ob ihm die geheimnisvolle Liebe zu Judith Gautier wichtiger war oder Badesalze, Parfüms und Tonnen von Seide und Samt, die sie ihm in Paris besorgen musste.
Vermutlich sind auch die Dämpfe bei Lady Agatha als parfümiert anzunehmen, und, wer weiss, bei den heutigen technischen Möglichkeiten wäre wohl ein Schwall des betreffenden Parfüms in den Zuschauerraum hinübergeweht worden. Nun, jedenfalls, in der von Mary Hottinger und mir vorgefassten Oper wäre die Mörder-Dichterin nur kurze Zeit sichtbar gewesen. Die Dämpfe wären immer dichter geworden, hätten das Gemach ganz eingehüllt.
Wenn sich die Schwaden wieder gelockert hätten, wären sich auf normaler Bühne die Szenen gefolgt, die genau dem Krimi entsprochen hätten. Sofort, schon in der ersten Szene, hätten ein oder mehrere Tote dagelegen, vergiftet, erdolcht, erschossen oder was der lieblichen Möglichkeiten des Um-die-Ecke-Bringens mehr sind. Im Lauf der 3 Akte hätte sich das mörderische Geschehen von hinten nach vorne so entwickelt, wie es von einem der beiden Star-Detektive bei Agatha, Hercule Poirot und Miss Marple, bei ihren Enthüllungen drei Seiten vor Schluss des Buches zu geschehen pflegt. Dank den umwerfend spitzfindigen Erklärungen bleibt ja kein Mord ungeklärt, und so hätte es auch in unserer Oper sein müssen. Nach einer schauerlichen Folge von aufregenden Szenen, an denen es an parallel in der gleichen Richtung rasenden Eilzügen, über schiefe Böden rollenden Filmen, äthergetränkten Wattebäuschen und andern Köstlichkeiten nicht gefehlt hätte, würde der Zuschauer erlöst aufgeatmet haben.
Als Schlussbild wäre aber nochmals das reichvergoldete Badezimmer von Lady Agatha geboten worden, zuerst unter wabernden Dämpfen, die sich gelichtet und den Blick auf die selig Apfelessende erlaubt hätten: unsere Heldin hat sich dem Photographen, will sagen dem Betrachter, nur immer mit lachendem Mund und perfektem Gebiss gezeigt. In der Sammlung meiner Ansichten von Agatha ist sie auch nur stets frischgelockt zu sehen. Wenn sie ihr behagliches Doppelkinn, Ausdruck ihrer Menschenfreundlichkeit, auch niemals zu verbergen suchte, so unterschlug sie indessen bei den für die Öffentlichkeit bestimmten Aufnahmen die zweite Hälfte ihrer Figur, nämlich ihr: und nun käme das, was in England nicht existiert.
Untendran ihr Gehwerk. Lord Snowdon war es vorbehalten, eine Aufnahme der wirklich alten Agatha zu liefern, auf der (oh England, wie weit ist es mit dir gekommen!) die Beine und die Füsse in Pantoffeln zu erblicken sind. Agatha en pantoufles. Sie müsste meine Schuhgrösse haben, Nummer 45. Ihr war alles erlaubt, sogar Pantoffeln Nummer 45. Sie durfte wirklich alles, denn schliesslich wird sie durch ihre Erbschaftssteuern das Imperium mindestens für zehn Jahre über Wasser halten, und ihr armer Enkel wird etliches von den Tantièmen aus Theaterstücken, Filmen und Romanen an den notleidenden Staat abliefern müssen.
Bei der Schluss-Szene sieht man natürlich nur den taufrisch ondulierten Kopf, den lachenden Mund mit den grossen Zähnen. Mit Brille, ohne Brille? Das überliesse ich dem Regisseur. Vor der Badewanne aber würden Hercule Poirot und Miss Marple zu einem Menuett anheben, wobei Hercule mit festländischer Eleganz (er ist ja Belgier) den Wollknäuel, der Miss Marples Strickkörbchen entfallen ist, sorgfältig aufheben würde. Mit geziertem Knicks, soweit die alten Knochen der lismenden Detektivin es erlaubten, würde die Miss danken. Dazu eine sanft verklingende Musik, gemischt aus dem Chor selig unseliger Geister...